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Der vitruvianische Mensch – Die da Vinci Zeichnung im Blick

Leonardo da Vinci, Der vitruvianische Mensch, 1490Leonardo da Vinci, Der vitruvianische Mensch, 1490

Als Meister der Künste, der Naturwissenschaften und allem, was dazwischen liegt, war Leonardo da Vinci eine der prägendsten Persönlichkeiten der italienischen Renaissance.

Während der Universalgelehrte wohl am bekanntesten für seine beiden Meisterwerke Mona Lisa und Das letzte Abendmahl ist, sind es seine wissenschaftlichen Skizzen, die sein umfangreiches Wissen eindrucksvoll veranschaulichen.

Der vitruvianische Mensch ist eine Zeichnung aus dem späten 15. Jahrhundert und gilt als Paradebeispiel für da Vincis Verständnis der menschlichen Anatomie. Die Zeichnung, die die Idee der Proportion näher erkunden sollte, ist teils Kunstwerk und teils Mathematikdiagramm und vermittelt die Überzeugung des alten Meisters, dass alles mit allem verbunden ist.

Was ist der vitruvianische Mensch?

Leonardo zeichnete um 1490 den vitruvianischen Menschen, auch bekannt als  "Le proporzioni del corpo umano secondo Vitruvi" (dt: Die Proportionen des menschlichen Körpers nach Vitruvius).

Die mit Feder, Tinte und Metallspitze auf Papier gezeichnete Figur zeigt einen idealisierten nackten Mann, der in einem Quadrat und einem Kreis steht. Da Vinci entschied sich dafür, den Menschen mit doppelten Extremitätenpaaren zu zeichnen, so dass er insgesamt vier Arme und vier Beine hat.

Anmerkung: Der vitruvianische Mensch basiert auf den einzigen erhaltenen Archtitekturbüchern der Antike "Zehn Bücher über Architektur", die vom römischen Architekten Vitruvius zwischen 30 und 15 v. Chr. verfasst wurden.

Während sich das Werk auf die Architektur konzentriert, untersucht die Abhandlung auch den menschlichen Körper in Form der "perfekten" Proportionen, die da Vincis Interesse für Anatomie ansprachen.

Was sind die "perfekten" Proportionen?

Zwei Absätze in Spiegelschrift geschriebene Zeilen begleiten die Zeichnung. Im ersten Absatz stellt Leonardo fest, dass nach Vitruvius folgende Messwerte einem idealen Körper entsprechen:

  • vier Finger entsprechen einer Handfläche (Palm)
  • vier Handflächen entsprechen einem Fuß
  • sechs Handflüchen ergeben eine Elle
  • vier Ellen entsprechen der Größe eines Mannes
  • vier Ellen gleich einer Anspanne eines Mannes
  • 24 Handflächen entsprechen einem Mann

Zusätzlich spezifiziert der erste Satz der Anmerkungen auch:

"Wenn Sie Ihre Beine so weit öffnen, dass Sie Ihre Körpergröße um 1/14 verringern und Ihre Arme spreizen und anheben, bis Ihre Mittelfinger die Höhe der Oberseite Ihres Kopfes berühren, müssen Sie wissen, dass das Zentrum der ausgebreiteten Gliedmaßen im Nabel liegt und der Raum zwischen den Beinen ein gleichseitiges Dreieck ergibt. Die Länge der ausgespreizten Arme eines Mannes entspricht seiner Größe."

In der Abbildung kann man gut nachvollziehen, wie da Vinci sich bei der Zeichnung genau an diesen Schilderung des Vitruvius orientierte.

Nicht nur die Gesamtheit des Mannes wird in dem Text von Vitruv beschrieben, sondern auch die einzelnen Körperteile. Auf Wikipedia wird die entsprechende Stelle im Deutschen wie folgt zitiert (Zehn Bücher über Architektur 3,1,2):

„Der Körper des Menschen ist so geformt, dass das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und dem unteren Rand des Haarschopfes 1/10 beträgt, die Handfläche von der Handwurzel bis zur Spitze des Fingers ebenso viel, der Kopf vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels 1/8 […] Vom unteren Teil des Kinns aber bis zu den Nasenlöchern ist der dritte Teil der Länge des Gesichts selbst, ebenso viel die Nase von den Nasenlöchern bis zur Mitte der Linie der Augenbrauen. Von dieser Linie bis zum Haaransatz wird die Stirn gebildet, ebenfalls 1/3 […]“

Der vitruvianische Mensch heute

Seit 1822 ist der vitruvianische Mensch Teil der permanenten Sammlung der Gallerie dell'Accademia in Venedig, Italien.

Da es zu zerbrechlich ist, um ausgestellt zu werden, wird das Stück nur in den seltensten Fällen präsentiert.

Doch auch wenn die Zeichnung nicht zu sehen ist, bleibt sie ein wichtiger Bestandteil ihrer Sammlung und letztlich eines der wichtigsten Werke der italienischen Renaissance.

Gallerie dell’Accademia

Foto: Didier Descouens / Wikipedia

Der vitruvianische Mensch diente als Vorbild für die perfekte menschliche Form und beeinflusste unzählige Künstler in den folgenden Jahrhunderten. Seine Proportionen und sein Gleichgewicht wurden in zahlreichen Kunstwerken nachgeahmt und zum Symbol für ästhetische Vollkommenheit und anatomische Präzision.

Künstler wie Michelangelo und Raffael, Zeitgenossen da Vincis, ließen sich von diesem Meisterwerk inspirieren, übernahmen seine Prinzipien in ihre eigenen Werke und trugen so zur Weiterentwicklung der Kunst bei.

Leonardos anatomische Studien, die sich im vitruvianischen Menschen widerspiegeln, waren nicht nur künstlerisches Beiwerk, sondern legten den Grundstein für Fortschritte in der medizinischen Illustration und im anatomischen Verständnis.

Seine akribischen Beobachtungen des menschlichen Körpers, die er in zahlreichen Notizbüchern festhielt, trugen zu einem genaueren und umfassenderen Verständnis der Anatomie bei. Der vitruvianische Mensch dient somit als visuelle Verkörperung des Forschergeistes der Renaissance und der symbiotischen Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft.

Der Vitruvianische Mensch fasziniert die breite Bevölkerung ebenso wie Wissenschaftler und ist über seine historischen Ursprünge hinaus auch heute noch relevant für Diskussionen an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. Das anhaltende Vermächtnis des vitruvianischen Menschen zeigt sich in der fortgesetzten Erforschung der menschlichen Gestalt sowohl in der Kunst als auch in der Wissenschaft.

Zeitgenössische Künstler und Wissenschaftler lassen sich von da Vincis Meisterwerk inspirieren und erkennen die tiefe Verbindung zwischen diesen auf den ersten Blick unterschiedlichen Disziplinen.

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.