Schon Leonardo beobachtete, dass sich die Farben und Helligkeiten einer Landschaft durch die Atmosphäre verändern, je größer die Distanz zum Betrachter wird. Neben den transparenten Gasen, die in der Luft enthalten sind, befinden sich in der Atmosphäre Partikel wie Feinstaub oder Wassertröpfchen, die die Wahrnehmung beeinträchtigen. Generell gilt: Je weiter der Blick in die Ferne reicht, desto mehr Partikel befinden sich zwischen dem Betrachter und dem betrachteten Objekt, desto unschärfer und trüber wirkt das Objekt.
Dieses Phänomen nennt man atmosphärische Perspektive oder auch Luftperspektive.
In der Landschaftsfotografie wird dieser Effekt bei einem Ausblick von mehreren Kilometern deutlich sichtbar:
Will man ein möglichst realitätsnahes Abbild der Wirklichkeit schaffen, muss der optische Effekt in der naturalistischen Landschaftsmalerei auch berücksichtigt werden.
Um die Luftperspektive in einem Gemälde abzubilden, müssen zwischen Vorder- und Hintergrund stufenweise Farbabschwächungen vorgenommen werden. Auch sollte die Landschaft mit zunehmender Distanz unschärfer, aber dennoch heller werden.
In diesem Artikel findest du alle Infos über die Einbeziehung der atmosphärischen Perspektive in der naturalistischen Malerei. Zunächst erfolgt ein kunstgeschichtlicher Rückblick, bevor die Merkmale dieser Perspektive thematisiert und anhand von Beispielen veranschaulicht werden.
Die atmosphärische Perspektive in der Malerei
In der Malerei wird die atmosphärische Perspektive schon seit vielen Jahrhunderten von Künstlern eingesetzt. Die Anfänge der künstlerischen Abbildung der Luftperspektive reichen sogar bis in die Antike zurück. Schon Künstler des antiken Roms und Griechenlands schufen kunstvolle Wandgemälde mit Landschaften, die unter Berücksichtigung der atmosphärischen Perspektive gemalt wurden.
Im Mittelalter, als die materielle Welt als verdorben und sündhaft galt und die Künstlerinnen und Künstler weitgehend als verlängerter Arm der Kirche dienten, wurden naturalistische Malmethoden weitgehend vernachlässigt.
Dies änderte sich erst im Rahmen der künstlerischen Renaissance im 15. Jahrhundert, als diese antiken Techniken der Malerei wiederentdeckt wurden.
Aufgrund der erforderlichen feinen Farbabstufungen war die Ölfarbe das Medium, mit dem sich diese Illusion am besten erzeugen ließ. Die Ölmalerei wurde aufgrund der kälteren Temperaturen erstmals in der niederländischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts eingesetzt, wurde dann aber auch von italienischen Künstlern verwendet, um eine möglichst hohe Detailtreue zu erzielen.
Während die meisten Künstler der Renaissance untersuchten, wie man Wissenschaften wie die Geometrie einsetzen kann, um mit der Linearperspektive Illusionen von Tiefe und Entfernung zu erzeugen, erweiterte Leonardo da Vinci seine Untersuchungen auf die Optik. Er gilt als derjenige Künstler, der im Rahmen seiner Trattato della Pittura die atmosphärische Perspektive erstmals in Europa beschrieb.
In einem kleinen Bildausschnitt auf der linken Seite seiner Felsgrottenmadonna beweist Leonardo sein Verständnis der Luftperspektive. Wie so häufig entschied er sich dafür, eine felsige Landschaft zu malen, die ins Bläuliche übergeht.
Lange vor Leonardo da Vinci verwendeten chinesische Künstler wie Guo Xi bereits im 10. und 11. Jahrhundert n.Chr. die atmosphärische Perspektive in ihren "Shan shui"-Kunstwerken.
Die alte chinesische Landschaftsmalerei ist technisch sehr anspruchsvoll und legt großen Wert auf die Verwendung verschiedener Strichstärken, um atmosphärische Effekte zu erzielen.
In Han Chos Abhandlung über die Malerei aus dem Jahr 1167 beschreibt er drei verschiedene Arten der Perspektive und wie die atmosphärischen Bedingungen die Klarheit und das Aussehen der Objekte beeinflussen.
Hier ein frühes Beispiel von Guo Xi aus dem 11. Jahrhundert:
Die drei wichtigsten optischen Eigenheiten der atmosphärischen Perspektive
Bei der Luftperspektive kommen gleich verschiedene optische Effekte zusammen. Hier sind wichtigsten Merkmale, die mit zunehmender Entfernung zum betrachteten Objekt auftreten. Willst du eine Landschaft naturalistisch genau malen, musst du auf diese Besonderheiten achten:
- Die Farbtöne und Farben verlieren ihre Sättigung
- Eine Verringerung des Kontrasts und ein daraus resultierender Detailverlust
- Eine Verschiebung des Farbtons, normalerweise in Richtung kühlerer Farbtöne wie blau oder grau
1. Abnahme der Farbsättigung
Wenn du aus der Ferne auf eine Landschaft oder ein Bild schaust, wird die atmosphärische Perspektive die Farben in größerer Ferne weniger lebhaft und weniger gesättigt erscheinen lassen.
Objekte in der Ferne neigen dazu, mit der niedrigen Farbsättigung der Atmosphäre zu verschmelzen, während die Objekte im Vordergrund aufgrund der geringeren Entfernung zwischen Betrachter und Objekt stärker gesättigt erscheinen.
2. Abnahme der Schärfentiefe (verringerte Kontraste)
Je weiter Objekte vom Betrachter entfernt sind, desto verschwommener erscheinen sie. Die Fähigkeit des menschlichen Auges, Kontraste wahrzunehmen, nimmt mit zunehmender Entfernung ab.
Objekte, die sich in der Nähe befinden, sind klarer umrissen und heben sich deutlicher von ihrer Umgebung ab. Objekte in der Ferne haben geringere Kontraste und weichere Kanten.
3. Tendenz zu kälteren Farbtönen und Erhöhung der Helligkeit
Durch die Abnahme der Sättigung tendieren die Farben in die kühleren Farbtöne der Atmosphäre, meist ins Bläuliche.
Ihre Helligkeit nimmt dabei allerdings zu, sodass die Farben in der Distanz gleichzeitig trüber und heller erscheinen.