Malerei

Maltechnik der Renaissance: Cangiante von Michelangelo und Co.

Cangiante von MichelangeloMichelangelo, Delphische Sibylle, ca. 1509

Als Cangiante bezeichnet man eine Schattierungstechnik in der Renaissancemalerei, bei der die Schattierung eines Objekts in einer anderen Farbe als die Farbe der belichteten Bereiche dieses Objekts ausgeführt wird.

Das Cangiante in der Renaissance

In der Renaissance waren helle Farbfamilien wie beispielsweise Gelb nur in einer begrenzten Auswahl an Farbtönen verfügbar, sodass es den Künstlern schwer viel, die dunkelsten Bereiche der Schattierung eines gelben Objekts zu malen.

Um diese schattierten Bereiche wiederzugeben, hatten die Künstler der Renaissance zwei Optionen:

  • Man mischt der hellen Farbe dunklere Farbtöne wie Schwarz oder Dunkelbraun bei, um einen gemischten Farbton (wie Dunkelgelb) zu erhalten.
  • Man weicht auf andere Töne anderer Farbfamilien aus, die durch ihren Kontrast eine Schattierungswirkung der helleren Farbe erzielen (Cangiante).

Da die erste Option häufig in unsauberen und stumpf wirkenden Farben resultierte, wählten einige Maler der Renaissance das Cangiante mit hoher farblicher Intensität.

 

Wortherkunft: Der Begriff leitet sich von cangiare ab, einem italienischen Verb der Renaissance für "cambiare", was so viel bedeutet wie "verändern" oder "umwandeln".

Ursprünge der Maltechnik und Beispiele

Giotto (1266 -1337) wird der erstmalige Einsatz des Cangiante zugeschrieben.

Diese Maltechnik bot Möglichkeiten für eine größere Gestaltungsvielfalt mit einer begrenzten Auswahl reiner Farben, wie sie später vom florentinischen Maler Andrea Cennini im Libro dell' Arte vorgeschlagen wurde (zwischen 1390 und 1437).

Ein frühes Beispiel der Maltechnik stammt von einem Altargemälde von Fra Angelico um 1423. Hier ein Ausschnitt mit deutlich sichtbarem Cangiante am Umhang der Figur am rechten Bildrand:

Fra Angelico, Jungfrau Maria mit Aposteln und Heiligen (Ausschnitt), ca. 1423-4

Fra Angelico, Jungfrau Maria mit Aposteln und Heiligen (Ausschnitt), ca. 1423-24

Das Malsystem von Cennini geriet allerdings ab 1435 in Ungnade, als Alberti sein Traktat Della Pittura veröffentlichte und empfahl, Schwarz hinzuzufügen, um natürliche Schatten mit farblichen Abstufungen zu erzeugen.

Als Michelangelo 1508 mit der Gestaltung der Decke der Sixtinischen Kapelle beauftragt wurde, experimentierten die Maler bereits mit verschiedenen Modellierungsstilen der Renaissance, darunter Sfumato, Chiaroscuro und Unione.

Das Malsystem von Cennini galt nicht mehr als zeitgemäßer Ansatz, bis Michelangelo die wesentlichen Merkmale davon wieder aufgriff.

Er behielt kräftige Farben in den Schatten bei und verwendete Weißmischungen für die Glanzlichter. Doch ging Michelangelo noch einen Schritt weiter und verwendete das Cangiante überall dort, wo er die intensive Wirkung von kombinierten Farbtönen gezielt erreichen wollte. Diese Wiederbelebung des Cangiante durch Michelangelo wurde Cangiantismo genannt.

Ein Paradebeispiel Michelangelos ist das Bild des Propheten Daniel im Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle mit einem deutlich sichtbaren Cangiante im Übergang von Grün zu Gelb auf dem Gewand des Propheten.

Michelangelo, Prophet Daniel, ca. 1508-12

Michelangelo, Prophet Daniel, ca. 1508-12

Ein weiteres Beispiel Michelangelos aus der Sixtinischen Kapelle:

Michelangelo, Judith und Holofernes, ca. 1508-1512

Michelangelo, Judith und Holofernes, ca. 1508-1512

Ein Fresko von Pontormo, das den Einfluss Michelangelos verdeutlicht:

Pontormo, Verkündigung des Herrn (Detail), ca. 1526-1528

Pontormo, Verkündigung des Herrn (Detail), ca. 1526-1528

Die Maltechnik in der modernen Kunst

Diese Technik war nach Michelangelos Ära weit verbreitet und ist heute eine allgemein gebräuchliche Maltechnik, auch wenn sie nur im Kontext der Renaissance als Cangiante bezeichnet wird.

Als Experiment mit den Farben und Kontrasten war die Maltechnik besonders ausgeprägt im Impressionismus und im Fauvismus.

Nachfolgend ein impressionistisches Beispiel von Renoir (beispielsweise die grünen Schattierungen auf der gelben Zitrone) sowie ein fauvistisches Beispiel von Matisse:

Pierre Auguste Renoir, Stillleben, ca. 1881

Pierre Auguste Renoir, Stillleben, ca. 1881

Henri Matisse, Frau mit Hut, 1905 | Foto: Zug zwang / Flickr

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.