Gemälde

Hans Holbeins “Die Gesandten” und die Bedeutung der umfangreichen Symbolik

Hans Holbein, Die Gesandten, 1533Hans Holbein, Die Gesandten, 1533

Die Gesandten ist eines der wichtigsten und beeindruckendsten Ölgemälde, das Hans Holbein der Jüngere während seines zweiten Besuchs in England im Jahr 1533 malte.

Es handelt sich um ein lebensgroßes (206 × 209 cm) Doppelporträt des wohlhabenden Landbesitzers Jean de Dinteville, Botschafter des Königs von Frankreich, und seines Freundes Georges de Selve, Bischof von Lavaur.

Das Werk ist von verborgenen Bedeutungen und symbolischen Elementen durchdrungen und ist damit ein Wegweiser der nördlichen Renaissance und der späteren Vanitassymbolik in Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts.

Heute befindet sich das Gemälde in Raum Vier der National Gallery in London.

Entstehung und Auftraggeber des Gemäldes

Das Werk wurde von Jean de Dinteville in Auftrag gegeben, um an den Besuch seines Freundes de Selve in London zu erinnern. 

Die beiden Männer befanden sich auf einer heiklen und letztlich erfolglosen diplomatischen Mission, um die Kluft zwischen Heinrich VIII. und der Kirche von Rom zu schließen, woher sich der Titel des Bildes "Die Gesandten" ergibt.

Die Gesandten ist nicht nur ein Porträt, sondern auch ein Stillleben mit zahlreichen spannenden Objekten, die in vortrefflich naturalistischer Malweise genaustens dargestellt wurden. Aus diesem Grund lassen sich die Symbole in dem Gemälde besonders gut deuten.

Natürlich zeigen viele Porträts gelehrter Männer aus dem 16. Jahrhundert Gegenstände, die ihre Berufe und Interessen widerspiegeln. Holbeins Bild unterscheidet sich von den meisten diesen Gemälde durch eine außerordentliche Liebe zum Detail und der schieren Menge an Informationen.

Es zeigt ganz deutlich, dass Holbein neben der Kunst der Gotik und Renaissance auch stark vom akribischen Naturalismus der frühen flämischen Malerei beeinflusst wurde.

Bildbeschreibung von Die Gesandten

Die Darstellung der beiden Figuren ist sowohl technisch als auch symbolisch brillant umgesetzt.

Auf der linken Seite ist De Dinteville ist in luxuriöse weltliche Kleidung gehüllt. Ein aufwändig gestalteter schwerer schwarzer, mit Luchsfell gefütterter Mantel über einer rosafarbenen Seidentunika. Bei genauer Betrachtung lässt sich auf seinem Hut das Abbild eines Totenschädels ausmachen, das zweifellos eine Erinnerung der eigenen Sterblichkeit ist.

De Dinteville Kleidung

Porträt des Jean de Dinteville in Hans Holbeins Die Gesandten

Detail De Dinteville

Detailbetrachtung der Kopfbedeckung: Ein Totenschädel in seitlicher Ansicht ist erkennbar

Der Bischof und Altertumswissenschaftler Georges de Selve ist weniger prunkvoll gekleidet. Bezeichnenderweise ist seine Haltung weniger durchsetzungsfähig als die seines Kollegen, und er nimmt insgesamt weniger Platz im Bildausschnitt ein.

Georges de Selve Kleidung

Porträt des Georges de Selve

 

Hinweis: Einige Kunsthistoriker verweisen auch auf de Dintevilles säkulare Wurzeln und de Selves klerikale Wurzeln als Symbol für den dysfunktionalen Charakter des Bündnisses zwischen Frankreich und dem Vatikan sowie für den grundlegenden Interessenskonflikt zwischen Kirche und Staat.

Der Schauplatz des Porträts ist ein Raum von relativ geringer Tiefe, der von grünen Vorhängen mit komplexen, heraldisch anmutenden Mustern verziert ist. Der Boden ist mit Mosaikfliesen bedeckt, die den Kosmaten vor dem Hochaltar in der Westminster Abbey nachempfunden sind, was auf den überragenden Charakter der englischen Liturgie hinweist.

Auf den Regalen, die zwischen den beiden Figuren stehen, sind zahlreiche weitere Objekte ausgelegt, mit denen sie und ihre Epoche in Verbindung gebracht werden. Sie sind mit einer Mischung aus Navigations-, Astrologie- und Musikinstrumenten ausgestattet und umfassen zwei Globen, einen Quadranten, ein Torquetum, eine Sonnenuhr, eine T-Schiene, ein deutsches Mathematikbuch und ein lutherisches Gesangbuch.

Hans Holbein, Die Gesandten, 1533

Hans Holbein, Die Gesandten, 1533

Bildinterpretation von Symbolik

Nachfolgend sollen die wichtigsten Symbole der zwei zentralen Themenkomplexe in dem Gemälde behandelt werden: Die Erkundung und Erschließung der neuen Welt sowie das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit und die damit verbundene Vanitassymbolik.

Symbole der Neuen Welt und des Handels

Dieser Teil der Bildinterpretation konzentriert sich auf zwei Details - den Teppich und den Globus -, die über den globalisierten Handel des 16. Jahrhunderts und insbesondere über die europäischen Imperialambitionen und die Kolonialisierung sprechen.

Der anatolische Teppich

Teppich

Über die oberste Ebene des Tisches zwischen den beiden Männern ist ein Teppich drapiert, der wegen der Vorliebe des Künstlers für diese Art von Textilien gewöhnlich als "Holbein-Teppich" bezeichnet wird. Dieser Name wurde im sechzehnten Jahrhundert noch nicht verwendet. Stattdessen hätte der Teppich die Betrachter an den Ort erinnert, an dem er hergestellt wurde. In diesem Fall wäre das die heutige Türkei, die im sechzehnten Jahrhundert von den Osmanen kontrolliert wurde.

Anatolische Teppiche waren in Europa ab dem fünfzehnten Jahrhundert beliebte Luxusobjekte. Textilien aus der Türkei, aber auch aus anderen Teilen des östlichen Mittelmeerraums, waren wegen ihrer außergewöhnlichen Handwerkskunst und Schönheit sehr begehrt.

Häufig zeigen diese Teppiche achteckige Formen, stilisierte Muster und manchmal Bordüren mit Kufic, einer Art arabischer Kalligrafie. Diese Art von Teppichen wurde in Europa so populär, dass andere Textilhersteller versuchten, sie zu kopieren.

Teppiche wie der in Holbeins Gemälde waren teuer. Sie spielten in den Häusern der europäischen Oberschicht eine wichtige Rolle und kosteten oft so viel wie Gemälde und Skulpturen. Anders als heute wurde ein so teurer Teppich damals nicht auf den Boden gelegt. Er konnte über einen Tisch drapiert oder an einer Wand aufgehängt werden, um als schönes Objekt präsentiert zu werden.

Warum also ist ein Teppich in Holbeins Gemälde? Der Teppich ist ein Luxusobjekt, das den Status der beiden Männer erhöhen soll. Er erinnert uns allerdings auch an die Macht und das Prestige des Osmanischen Reiches zu dieser Zeit. Die Osmanen galten als eine Bedrohung für die europäischen Mächte, auch wenn die Europäer osmanischen Luxus begehrten.

Es gibt wahrscheinlich noch einen weiteren Grund für die Anwesenheit des Teppichs in der Szene. Der französische König Franz I. hatte sich kürzlich mit König Heinrich VIII. von England verbündet, um die Macht Karls V., Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, zu begrenzen.

Karl V. war ein mächtiger Herrscher, weshalb Franz I. und Heinrich VIII.  besorgt waren, dass er versuchen könnte, ihnen die Kontrolle zu entreißen. Franz I. versuchte auch, Beziehungen zu den Osmanen zu pflegen, indem er sich an Suleiman den Prächtigen, den osmanischen Herrscher, wandte.

Daher könnte der Teppich in Holbeins Gemälde auf die Versuche des französischen Herrschers verweisen, die politischen Beziehungen zu den Osmanen stärken zu wollen. Franz I. begehrte zweifellos eine solche Beziehung, denn sie würde seine Handelsbeziehungen stärken, seine Fähigkeit zum Erwerb osmanischer Waren verbessern und ihm einen unmittelbareren Zugang zu Waren aus China und Indien verschaffen, die ebenfalls sehr begehrt waren.

 

Der Teppich in dem Gemälde hat daher mehrere Bedeutungen: Politisch spricht er die Versuche von Franz I. an, eine Verbindung mit dem osmanischen Herrscher zu knüpfen. Kulturell zeigt er ein teures, von der anatolischen Halbinsel importiertes Textil.

Der Teppich erinnert daran, dass die Osmanen ein wichtiger Teil der europäischen Renaissance-Kultur waren, der häufig vergessen wird.

Der Globus in Die Gesandten von Hans Holbein

Auf dem Regal unter dem Teppich befinden sich eine Reihe faszinierender Gegenstände, darunter eine Laute mit einer gerissenen Saite, ein Gesangbuch und ein Globus. Man nimmt an, dass die gerissene Saite der Laute auf die Zwietracht verweist, die aus der protestantischen Reformation resultierte und an die auch das Gesangbuch erinnert. Martin Luther, der die Reformation der Kirche einleitete, komponierte die abgebildeten Hymnen.

Der Globus verweist jedoch nicht auf die Umwälzungen, die sich aus der Reformation ergaben, sondern er erinnert an andere Arten von Transformationen, die damals stattfanden.

Die Gesandten Globus

Die Karte auf dem Globus ist verkehrt herum dargestellt. Trotzdem gibt es in vielen Teilen Europas lesbare Schriftzüge. Holbein positionierte Europa am nächsten an der Bildebene und malte es in einer goldenen Farbe, um unseren Blick darauf zu lenken. Wir sehen Afrika dahinter und darüber hinaus Teile Amerikas.

Interessanterweise ist eine der lesbaren Bezeichnungen auf dem Globus "Brisilici R." für Brasilien. Die visuelle Klarheit und der Bezug auf Brasilien ist wichtig. Die französische Krone erhob Anspruch auf Brasilien, nachdem sie 1522 eine Expedition nach Amerika entsandt hatte.

Die Expedition wurde von Giovanni da Verrazano geleitet, der 1524 zurückkehrte und Frankreich half, einen Anspruch auf Land jenseits des Atlantiks abzustecken. Verrazano kehrte 1527 nach Brasilien zurück, um Brasilholz, eine wertvolle Ressource, zu sammeln.

Die französische Krone versuchte, Handelsposten in Brasilien einzurichten, um die Kontrolle über dieses reiche fremde Land zu beanspruchen. Eine Handlung, die Frankreich gegen seinen Kolonialrivalen Portugal aufbrachte.

In Die Gesandten verlaufen mehrere rote Linien durch Teile der Erdkugel. Die eine, die durch Brasilien verläuft und den Atlantik teilt, war die Linie, auf die man sich 1494 mit dem Vertrag von Tordesillas geeinigt hatte. Dieser Vertrag führte dazu, dass ein Großteil Amerikas von Spanien kolonialisiert wurde, während Brasilien den Portugiesen zugestanden wurde. 

Eine andere Linie, die sich aus dem Vertrag von Saragossa 1529 ergab (wiederum zwischen Spanien und Portugal), teilte die Karte in die andere Richtung und gab den Portugiesen die Molukken in Indonesien.

 

Die Einbeziehung dieser Linien macht deutlich, wie wichtig der Wettbewerb zwischen den Kolonialmächten um Land, Ressourcen und Menschen war und welche weitreichenden Auswirkungen die europäischen Seereisen und Kolonialexpeditionen rund um den Globus haben würden.

Was den Holbein'schen Globus noch faszinierender macht, ist die Tatsache, dass er einen realen Globus aus dem sechzehnten Jahrhundert nachbildet.

Orginalgetreue Nachbildung des Globus, den Hans Holbein in Die Gesandten als Vorlage verwendete | Foto: Yale Library

Die Vorlage war ein gedruckter Globus, ermöglicht durch die Revolution in der Drucktechnik, die Europa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stattfand. Der Globus wurde wahrscheinlich in Nürnberg gedruckt und war in den 1520er und 30er Jahren sehr beliebt.

Auf dem gedruckten Globus gibt es deutliche Hinweise auf Ferdinand Magellans Weltumsegelung, die 1522 abgeschlossen wurde. Der Globus spielt dann auf die habsburgische Dominanz an, da Karl V. Magellan finanziell gefördert hatte.

 

Trotz Holbeins Anlehnung an den gedruckten Globus lässt er die Magellan-Route weg. Es wird vermutet, dass dies ein Bemühen Holbeins war, der sich bewusst war, dass sein Gönner dem französischen König Franz I. unterstand und daher die habsburgische Macht herunterspielte.

Weitere Symbole des Kommerzes in dem Gemälde

Wie der Globus und der türkische Teppich spielt auch das Buch, das auf dem Tisch direkt vor dem Globus liegt, auf die Bedeutung des Handels an. Holbeins präzise Malweise des Buches erlaubt es uns, es als arithmetischen Text zu identifizieren, genauer gesagt als "Ein newe und wolgegründete underweisung aller Kauffmanns Rechnung" von Peter Apian. Das Buch erörtert Gewinne und Verluste - ein wichtiger Aspekt des Handels in dieser Zeit. 

Kaufleute

Die Navigationsinstrumente auf dem oberen Regalbrett weisen auch auf kommerzielle Aktivitäten hin, die Reisen und Austausch, aber auch imperialistische Expansion und Kolonialisierung förderten.

Alle Objekte sind wichtig in diesem komplexen Gemälde. Umso wichtiger ist die Betrachtung der ebenfalls in dem Kunstwerk vorhandenen Vanitassymbolik.

Die Vanitas und Memento Mori Symbole in Die Gesandten

Das bedeutendste Vergänglichkeitssymbol ist der unübersehbare anamorphe Schädel, der sich über die untere Bildmitte erstreckt.

Schädel Die Gesandten

Während die schräge Perspektive den Schädel bei gerader Betrachtung weitgehend unkenntlich macht, könnte Dinteville dieses Werk ursprünglich neben einer Tür in seinem Schloss platziert haben, so dass ein seitlich vorbeilaufender Betrachter mit dem grinsenden Antlitz des Todes konfrontiert würde.

Entzerrte Detailaufnahme des Schädels

Entzerrte Detailaufnahme des Schädels

Auf seiner grundlegendsten Ebene stellt der Schädel ein Memento mori Symbol dar. Eine Erinnerung an die unausweichliche Sterblichkeit des Menschen und ein Mittel, um die Zuschauer dazu zu drängen, irdische Versuchungen zurückzuweisen. Aber seine Verzerrung hier legt andere symbolische Interpretationen nahe. 

Der Schädel verdunkelt metaphorisch den Mittelpunkt der Welt, während er (buchstäblich) den mittleren Bereich auf dem Bodenmuster einnimmt. Darüber hinaus lenkt das perspektivische Experiment die Aufmerksamkeit auf die Grenzen des menschlichen Sehvermögens und zwingt die Betrachter, ihren Platz in der Welt zu hinterfragen.

Doch wie das Gemälde entgegnet, sollten die Betrachter den Tod nicht fürchten. Dort steht in der linken oberen Ecke, teilweise verdeckt durch den smaragdgrünen Hintergrund, ein Kruzifix für die Auferstehung - Gottes Versprechen des ewigen Lebens für die Gläubigen.

Kruzifix

Auf die Erlösung Christi wird auch in der zylindrischen Sonnenuhr angespielt, die auf den 11. April, das Datum des Karfreitags im Jahr 1533, ausgerichtet ist.

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.