Gemälde

Wie Jan Vermeer aus einer häuslichen Szene ein Meisterwerk machte – Bildanalyse von “Dienstmagd mit Milchkrug”

Johannes Vermeer, Dienstmagd mit Milchkrug, ca. 1657-1658Johannes Vermeer, Dienstmagd mit Milchkrug, ca. 1657-1658

Dienstmagd mit Milchkrug ist ein 45,5 x 41 cm großes Ölgemälde von Jan Vermeer. In der Darstellung fängt der Künstler mit großer Detailgenauigkeit die Entschlossenheit ein, mit der eine Küchenmagd eine ihrer alltäglichsten Aufgaben erledigt: Das Eingießen von Milch in ein Tongefäß.

In dieser Bildbeschreibung und Analyse sehen wir uns an, welche stilistischen Elemente Vermeer verwendete, um aus diesem häuslichen Motiv eine solch beeindruckende Komposition zu erschaffen.

Bildbeschreibung von Dienstmagd mit Milchkrug

Man nimmt an, dass Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug um 1657-1658 gemalt wurde, obwohl das genaue Datum nicht bekannt ist. Das Gemälde befindet sich heute im Rijksmuseum in Amsterdam.

Das Gemälde zeigt eine junge, kräftige Frau, die vorsichtig Milch in ein Gefäß gießt. Eine geheimnisvolle Aura umgibt sie, die uns in das Bild und die abgebildete Magd hineinversetzen lassen.

1. Ein für Vermeer untypischer Hintergrund

Vermeer Milchmagd Ausschnitt jpg

Um Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug zu entschlüsseln, ist es wichtig, sich zu fragen, warum er die Wand im Hintergrund kahl ließ - eine Abweichung von seiner üblichen Vorgehensweise, die Wände mit Karten und anderen Ornamenten zu schmücken.

Vermeers gängige Darstellungsform bestand darin, den privaten Raum des Zimmers mit der Außenwelt zu verschmelzen, um die Wechselwirkung zwischen privatem und öffentlichem Raum zu symbolisieren.

Interessant ist, dass die Wand der Milchmagd zunächst mit einer Landkarte bemalt und dann übermalt wurde, so dass eine unebene Oberfläche entstand.

Diese Unregelmäßigkeit, die an hastig aufgetragenen Putz erinnert, verleiht dem Bild einen Realismus, der zum längeren Betrachten einlädt und die traditionelle Symbolik überflüssig macht.

Darüber hinaus weist die Wand Löcher und Ritzen auf, die entweder auf die Abwesenheit oder die bevorstehende Ankunft von Bildern oder Gegenständen hinweisen und eine narrative Dimension hinzufügen.

2. Die Figur der Milchmagd

Vermeer Milchmagd Figu

Die Aufgabe des Milchmädchens ist klar umrissen: Sie bereitet eine provisorische Mahlzeit zu, während der Haushalt in Aufruhr ist, vielleicht wegen einer Renovierung oder eines Umzugs.

Vermeers Darstellung der Dienstmagd, die ganz gewöhnlich aussieht, aber ruhig und engagiert ist, fängt einen bestimmten Moment in der Zeit ein und betont das Alltägliche gegenüber der psychologischen Tiefe.

Die Handlungen des Milchmädchens ähneln einer bescheidenen Zeremonie, einer protestantischen Messe in einem holländischen Haus, ohne religiöse Ausschmückungen, aber in ihrer Einfachheit bedeutsam.

Ihre Alltäglichkeit steht im Kontrast zu möglichen mythologischen Assoziationen und unterstreicht ihre Rolle als Akteurin der Veränderung im Haushalt.

3. Ihre Handlung

Der Akt des Ausgießens von Milch, der im Mittelpunkt des Gemäldes steht, symbolisiert die unsichtbare, aber wichtige häusliche Arbeit, mit Gegenständen auf der einen und einer leeren Wand auf der anderen Seite, die den Kontrast zwischen greifbaren Gegenständen und übersehenen Texturen hervorhebt.

Letztlich rückt Vermeer das Alltägliche in den Vordergrund und lädt den Betrachter ein, über die Bedeutung alltäglicher Handlungen und die unsichtbaren Kräfte, die das häusliche Leben prägen, nachzudenken.

Formalanalyse von Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug

Komposition

Auffällig ist die Dreieckskomposition in der Darstellung, die vom gedeckten Tisch und der Magd erzeugt wird. Hier spielt sich der maßgebliche Teil der Handlung ab und hier wurde auch der Großteil der farblichen Kontraste untergebracht. 

Dienstmagd mit Milchkrug Komposition

Die Dreieckskomposition wird durch die Farbigkeit des Vordergrunds zusätzlich betont 

Schaut man über die rechte Hand der Magd hinweg, erkennt man ein kleines Loch, das Vermeer zur Markierung des Fluchtpunktes und zur Darstellung der Ein-Punkt-Perspektive verwendete. Dies ist ein Indiz gegen die Theorie, dass Vermeer eine Camera Obscura benutzte, um die Komposition vorzuzeichnen.

Dienstmagd mit Milchkrug Fluchtpunkt-2

Fluchtlinien zum Nadelloch

Farbe und Licht

Besonders beeindruckend ist Vermeers Verwendung von Farbe und die Darstellung des Lichts. Im weitesten Sinne können wir dieses Gemälde als ein teilkomplementäres Farbschema mit Gelb, Orange und Blau einordnen. 

Bei dieser Art von Farbharmonie ist es normalerweise ratsam, eine Hauptfarbe und zwei Nebenfarben zu wählen, um die Kontraste nicht zu überladen. Genau das hat Vermeer in diesem Bild getan. Das Blau ist großflächig und sehr satt aufgetragen, während Gelb und Orange im Farbschema des Gemäldes eine eher untergeordnete Rolle spielen. Dadurch tritt das satte Ultramarinblau besonders deutlich hervor.

 

Hinweis: Ultramarinblau war zu dieser Zeit extrem teuer und wurde nur von wenigen Künstlern seiner Zeit verwendet. Das erklärt auch, wieso die blaue Farbe so intensiv und reichhaltig wirkt.

Es besteht ein interessanter Kontrast zwischen den satten, einfarbigen Farben des Stoffes und den weichen, unterschiedlichen Hauttönen, die für das Motiv verwendet wurden. Dadurch wirkt die Haut organischer und natürlicher.

Die Komposition wird durch Tageslicht beleuchtet, das aus einem Fenster auf der linken Seite einfällt. Die Lichtquelle erzeugt ein schönes Spiel zwischen Licht und Schatten. 

 

Vergleich: Vermeer war mit seiner Technik zur Darstellung von Licht und Schatten subtiler als die Technik vieler anderer alter Meistern, die das Chiaroscuro verwendeten.

Es ist zu vermuten, dass Vermeer eine Kombination aus Umbra und Bleiweiß einsetzte, um den Farbübergang an der Wand zu malen. Der allmähliche Übergang von Licht zu Schatten, zusammen mit einigen hellen Farben, die auf der Oberseite verteilt sind, ergeben die raue Textur der Oberfläche. 

Beachte auch die feinen Details, die Vermeer bewusst hinzugefügt hat - Nägel, kleine Risse und Löcher.

Textur und Pinselführung

Vermeer war äußerst raffiniert darin, Textur und Pinselführung zu variieren, um der Beschaffenheit verschiedener Objekte in dieser Komposition gerecht zu werden.

Hier sind einige Auffälligkeiten:

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    Für das Gesicht der Magd wurde die Farbe in unterschiedlichen Tönen im Impasto aufgetragen. Vor allem sichtbar in den Glanzlichtern.
  • Der gelbe Stoff wirkt rauer als die seidige Textur des blauen Stoffes.
  • Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass Vermeer kleine Farbpunkte auf dem Stoff und dem Brot verwendet hat.

Zusammenfassung

Hier sind einige der wichtigsten Erkenntnisse aus Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug, die du in deine eigene Malerei übertragen kannst:

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    Manchmal muss man beim Malen eines Gemäldes größere Veränderungen vornehmen, wie es Vermeer anscheinend tat, als er Bereiche an der Wand übermalte.
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    Beim Malen mit einem teilkomplementären Farbschema ist es ratsam, eine dominante Farbe auszuwählen und die anderen zwei Farben als umgebende Akzente zu verwenden.
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    Strategisch platzierte Bildelemente außerhalb der Hauptkomposition eines Werks können die Neugier an einem Motiv verstärken und die Szene spannender wirken lassen.
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    Die alten Meister verließen sich nicht nur auf ihren Instinkt und ihr geschultes Auge, sondern nutzten viele Werkzeuge und Techniken, um ihre Motive darzustellen. Vermeer zog beispielsweise in diesem Werk mit einer Nadel die Fluchtlinien, um den Innenraum perspektivisch konsistent abzubilden.
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    Versuche deine Pinselführung an das zu malende Objekt anzupassen, um dessen Textur bestmöglich darstellen zu können. Hier gilt es, eine Reihe von Maltechniken im Repertoire zu haben.
Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.