Jean-Léon Gérôme, Pollice Verso, 1872
Malerei

Jean-Léon Gérôme – Biografie, Kunstwerke und künstlerischer Einfluss

Jean-Léon Gérôme, Pollice Verso, 1872

Jean-Léon Gérôme (11. Mai 1824 - 10. Januar 1904) war ein französischer Maler und Bildhauer im Stil des Akademismus. Sein Œu­v­re umfasste die Historienmalerei, die Porträtmalerei und die Bildhauerei. Sein Schaffen brachte die akademische Maltradition zu einem künstlerischen Höhepunkt.

Als Dozent an der renommierten École des Beaux-Arts in Paris lehrte er eine Reihe führender Maler der nächsten Generation, wobei nicht alle Künstler und Kunstkritiker seiner Meinung waren. Gérôme war ein bekennender Gegner des Impressionismus, was seinen Ruf im zunehmenden Alter schädigte. 

Hier blicken wir auf Gérômes vielfältige Biografie, seine wichtigsten Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen und das künstlerische Vermächtnis, das er hinterlassen hat.

Biografie von Jean-Léon Gérôme

Jean-Léon Gérôm​e

Jean-Léon Gérôme

Geboren: 11. Mai 1824
Gestorben: 10 Januar 1904

Kindheit

Jean-Léon Gérôme, Sohn eines Goldschmiedes und Juweliers, wurde 1824 in der französischen Kleinstadt Vesoul geboren. Als intelligentes, fleißiges Kind lernte er Latein, Griechisch und Geschichte an der Oberschule.

Er erhielt Unterricht in Zeichnen bei Claude Basil Cariage, einem klassizistischen Maler und ehemaligen Schüler von Jean-August-Dominique Ingres. Der junge Gérôme zeigte ein beeindruckendes Talent für die Kunst, und sein Lehrer beauftragte ihn, aus Gipsabdrücken und Modellen zu lernen, die er aus Paris nach Vesoul gebracht hatte.

1938 gewann Gérôme seinen ersten Preis als Zeichner, und sein Werk fiel einem Freund des französischen Historienmalers Paul Delaroche auf.

Frühwerk

Im Alter von 16 Jahren erhielt Gérôme seinen Schulabschluss, verließ seine Heimatstadt und zog nach Paris, wo er in Delaroches Atelier arbeitete. Gérôme war jedoch gegen die Wünsche seines Vaters bei dem Umzug vorgegangen, und da er ums Überleben kämpfte, war er durch die Umstände gezwungen, religiöse Tafelbilder zu malen, die er auf den Stufen der Kirchen verkaufte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Drei Jahre lang folgte Gérôme einer strengen Routine:

  • Morgens lernte er mit den Gipsarbeiten.
  • Nachmittags zeichnet er oder malte im Freien.

Er wurde auch aufgefordert, Radierungen und Gemälde alter Meister im Louvre zu kopieren und Kurse an der renommierten École des Beaux-Arts zu besuchen. Sein Engagement und sein Können verschafften ihm schließlich die Anerkennung seines Vaters, der ihm, erfreut über den rasanten Fortschritt seines Sohnes, eine großzügige Spende von 1.200 Franken pro Jahr gewährte (die Gérôme oft unter seinen Freunden teilte).

1843 reisten Gérôme und Delaroche nach Italien und besichtigten Rom, Venedig und Neapel. Der junge Künstler schrieb in seine Tagebücher, wie viel Spaß er daran hatte und wie viel künstlerischen Fortschritt er machte.

Durch Delaroches Kontakte traf er zahlreiche junge Künstler und aufstrebende Fotografen, darunter Henri Le Secq, Charles Nègre und Gustave Le Gray. Diese neuen Bekanntschaften würden den kinoähnlichen Look eines Großteils seines Werkes beeinflussen. Tatsächlich hatte sich der französische Dichter und Schriftsteller Théophile Gautier 1856 für die Fotografie eingesetzt, um Künstlern wie Gérôme zu ermöglichen, Bilder zu malen, die der realen Welt ähnlich sahen. Gérôme war von seinem ersten Ausflug in den Nahen Osten mit über hundert Fotografien zurückgekehrt, und obwohl er seiner Phantasie erlaubte, seine Kunstwerke zu inspirieren, zogen Gérômes sehr detaillierte Gemälde diese Fotografien heran, um seine eigene Sichtweise der bunten Gegend zu vertreten.

Nach seiner Rückkehr nach Paris studierte Gérôme bei dem Schweizer Künstler Charles Gleyre. Gleyre lehrte Gérôme, wie man seine Zeichnung verbessert und seine Darstellungen aufwertet. Unter Gleyres Einfluss entwickelte er sein Talent für Genrebilder, das er in den nächsten Jahren in einer Pariser Künstlergemeinschaft verfeinerte.

Mittleres Werk

1856 unternahm Gérôme seine erste Reise nach Ägypten und in den Nahen Osten. Er bereiste den Nil, besuchte Kairo, passierte die Sinai-Halbinsel und erkundete das Heilige Land, darunter Besuche in Jerusalem und Damaskus. Er ließ sich von der nordafrikanischen Landschaft und ihren Menschen inspirieren und schuf seine ersten orientalistischen Werke.

Drei Jahre später begeisterte Gérôme die amerikanische Öffentlichkeit, als zwei seiner Gemälde in New York ausgestellt wurden. Die Krisensituation und der Verlust des nationalen Bewusstseins während des amerikanischen Bürgerkriegs führten zu einem entschlossenen Kurs nach außen. Dies zog Kritiker und Sammler zurück ins Abendland, und für eine Weile entwickelte sich Gérômes Orientalismus zu einem Symbol für hohe Kunst in Amerika. Sein Erfolg war aber auch sein kritischer Untergang; je populärer seine Kunst wurde, desto mehr wurde er als fortschrittsorientierter Künstler verspottet. Trotz dieser Kritik konnte Gérôme fantastische Preise für seine Gemälde erzielen, und seine Werke verkauften sich für ein Vielfaches der impressionistischen Gemälde seiner Zeit.

1863 heiratete Gérôme Marie Goupil, die Tochter des erfolgreichen internationalen Kunsthändlers Aldophe Goupil, mit dem er seit vier Jahren zusammenarbeitete. Er beschrieb seine 21-jährige Frau als "eine junge Frau von seltener Schönheit und charmanter Anmut". Sie zogen in ein Stadthaus in der Rue de Bruxelles 6, in der Nähe des Musiksaals Folies Bergère. Ihr erstes Kind, Jeanne, wurde in diesem Jahr geboren - Anschließend bekamen sie drei weitere Töchter und einen Sohn.

Portrait einer Frau 1867 - 1870

Portrait einer Frau (Marie Goupil), 1867 - 1870

Sein Glück setzte sich fort, als er 1864 eine Stelle an der renommierten École des Beaux-Arts antrat und einer der angesehendsten Lehrer der Schule wurde.

Gérômes berufliche Beziehung zu Aldophe Goupil war entscheidend für den Erfolg des Künstlers. Goupil verkaufte Fotografien und Drucke moderner Malerei an Büros in New York, London und Berlin, und Gérôme wurde zu seinem am meisten vervielfältigten Künstler.

Gérôme bereiste unterdessen ganz Europa und den Nahen Osten und besuchte Spanien, Griechenland, die Türkei, Jerusalem und Syrien. Er besuchte Ägypten sechsmal in seinem Leben und seine Reisen inspirierten einige spektakuläre, schockierende und provokante Gemälde mit orientalischem Themenbezug. Er wurde von Intellektuellen weithin als Fantast abgetan, dessen Arbeit nur wohlgefälligen und kommerziellen Zwecken diente.

Gérôme war 55 Jahre alt, als er die Bildhauerei entdeckte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Gérôme auch als leidenschaftlicher Anti-Impressionist einen Namen gemacht. 1884 setzte er sich gegen die École des Beaux-Arts ein, als sie eine Ausstellung von Édouard Manet nach dessen Tod veranstaltete.

Jean-Léon Gérôme Skulptur

Etwa zur gleichen Zeit fiel Gérôme in den USA in Ungnade. Er wurde als verderbender Einfluss auf die amerikanische Kunst angeprangert. Ein Artikel in der New Yorker Evening Post von 1882 behauptete, dass Gérôme ein Beispiel für den aktuellen Trend der Malerei von Künstlern sei, die nur um der Popularität willen malten und um hohe Preise zu erzielen.

Spätwerk

1898 wurde Gérôme zum Großoffizier ernannt, dem vorletzten Rang in der Ehrenlegion und einer seltenen Auszeichnung für einen Künstler. Er wurde als Mann beschrieben, der von äußeren Erscheinungen fasziniert ist - sowohl von anderen als auch von seinen eigenen. Er kleidete sich gut, war stolz auf sein dichtes Haar und genoss es, fotografiert zu werden.

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Gérômes Auseinandersetzung mit seinem eigenen Aussehen beeinflusste anscheinend seinen eigenen Tod im Jahr 1904, als er im Alter von 80 Jahren vor einem Portrait von Rembrandt in seinem Atelier plötzlich und ohne allmählichen körperlichen Verfall starb. Sein Rang als Ehrensoldat berechtigte ihn zu einer Beerdigung mit einem militärischen Umzug, aber er hinterließ Hinweise für eine einfachere Bestattung. Er wurde auf dem Friedhof von Montmartre vor seiner eigenen Skulptur begraben. Es wird geschätzt, dass er zu seinen Lebzeiten etwa 600 Gemälde, sechzig Skulpturen und Hunderte von Zeichnungen und Studien fertigte.

Wichtige Werke von Jean-Léon Gérôme

Die folgenden Kunstwerke sind die wichtigsten von Jean-Léon Gérôme - sie zeigen sowohl die wichtigsten Schaffensperioden als auch die größten Leistungen des Künstlers.

Junge Griechen lassen Hähne kämpfen (Hahnenkampf), 1846 

Jean-Léon Gérome Hahnenkampf

Beschreibung des Kunstwerks: Dieses Genrebild war ein großer Erfolg, als es im Pariser Salon von 1847 ausgestellt wurde. Es zeigt zwei Jugendliche, die allein am Sockel eines antiken Bauwerks sitzen. Vor ihnen kämpfen zwei Hähne bis zum Tod in einem traditionellen griechischen Hahnenkampf. Im Vordergrund hält der Junge eins der beiden Tier, während er vor grünen Pflanzen kniet. Hinter ihm, halb nackt, schreckt eine schöne junge Frau vor dem Kampf zurück. Hinter ihr ist das türkisfarbene Ägäische Meer zu sehen, und dahinter eine griechische Bergkulisse.

Gérôme war ein erfahrener Tiermaler und Naturliebhaber und hielt das Studium und die Darstellung von Tieren für einen wesentlichen Bestandteil der künstlerischen Ausbildung. Aber die Arbeit wurde im Salon schlecht positioniert, fand er. Es wurde seiner Meinung nach zu hoch aufgehangen, als wolle man es vor dem Auge des Betrachters verbergen. Dennoch fand das Werk großen Anklang und etablierte ihn als einer der führenden Künstler, der die griechische Tradition wieder aufleben ließ.

Dieses Werk stellt das dar, was zu Gérômes Handschrift werden sollte; ein Thema, das der Geschichte entnommen und in seiner Phantasie umgewandelt wurde. In seinem makellosen, akademischen Stil schildert er ein Bild aus Mosaiken in Neapel, Fresken aus Pompeji und Bildern aus der italienischen Renaissance. Der akademische Einfluss von Jacques-Louis David zeigt sich auch in seinem treuen Realismus und seiner Liebe zum Detail. Dennoch versuchte er, den Arbeiten seiner Vorgängern eine neue Dimension hinzuzufügen, indem er sich auf die neuesten archäologischen, ethnographischen und historischen Forschungen stützte.

Ave Caesar, Morituri Te Salutant (Heil dir, Caesar, die Todgeweihten grüßen dich!“), 1859

Ave Caesar, Morituri Te Salutant

Beschreibung des Kunstwerks: Dieses spektakuläre Werk zeigt einen Ausschnitt aus einem Gladiatorenturnier im Kolosseum in Rom - ein Thema, das für die Historienmalerei selten ausgewählt wird. Im abgedunkelten Vordergrund liegen zwei tote Krieger im Sand, überall um sie herum im Sand lagen ausgediente Waffen und Rüstungen. Dahinter streut ein Mann Sand über die Blutflecken, und an seiner Seite ziehen andere Männer Leichen aus der Arena. Im Zentrum steht eine Gruppe von acht Gladiatoren, die den darüber sitzenden Kaiser Vitellius mit den Worten des Bildtitels begrüßen. Das Licht dahinter erhellt die Tausenden von Zuschauern, die sich in der geschwungenen Form des Kolosseums befinden. 

Gérôme präsentierte gerne panoramische Geschichtsvisionen, die sich nicht auf Individuen oder Gesichter konzentrierten, sondern auf riesige Szenen, die Menschenmassen, Architektur, Kultur und Geographie einbeziehen. Kritiker und Öffentlichkeit waren erstaunt über die Arbeit, die das Ergebnis der sorgfältigen Recherche Gérômes war. Er studierte Architekturzeichnungen des Kolosseums, untersuchte unzählige Gladiatoren und ihre Waffen und bezog sogar die netzartige Konstruktion ein, die das Sonnensegel hielt, um die reicheren Zuschauer vor der römischen Hitze zu schützen. Doch Gérômes Gemälde waren historisch nicht korrekt, was sein Ansehen als seriöser Maler beeinträchtigte. Beispielsweise wurde mit dem Bau des Kolloseums erst begonnen, als Vitellius schon 11 Jahre an der Macht war. Auch der Ausspruch "Ave Caesar, morituri te salutant" wurde fälschlicherweise als Gladiatorengruß eingestuft, obwohl die Phrase nur ein einziges mal in der antiken Literatur erwähnt wurde - allerdings nicht im Zusammenhang mit Gladiatoren.

Der Tod von Cäsar, 1867

Jean-Léon Gérômev, Der Tod des Caesar

Beschreibung des Kunstwerks: Der Tod von Cäsar wurde zu einem der beliebtesten Kunstwerke von Jean-Léon Gérôme.

Das Werk zeigt die unmittelbaren Folgen der Ermordung des römischen Kaisers, als seine beglückten Mörder, die Hände in die Höhe gehalten, vom Körper fortzutanzen scheinen. Wir sehen eine detailgetreue Darstellung der Kunst, Statuen und Architektur, die Gérôme bei seinem Besuch in Rom studierte.​

Die Szene, die im Theater von Pompeij spielt, wurde jedoch für die damalige Zeit in einem unkonventionellen Stil inszeniert: Das Hauptthema des Stückes, obwohl es sich im Vordergrund befindet, ist dem Handeln der Verschwörer untergeordnet. Caesars Körper wird im Dunkeln an der linken Seite der Leinwand zurückgelassen, während die Erzählung sich auf die Gruppe der glücklichen Messerstecher konzentriert.

Die Hinrichtung von Marshall Ney, 1855-1865

Die Hinrichtung von Marshall Ney

Beschreibung des Kunstwerks: Die lebhafte Phantasie von Gérôme zeigt sich am besten in diesem Werk, das als eines seiner überraschendsten Gemälde beschrieben wurde. Das Opfer, das mit dem Gesicht nach unten im Schlamm im Vordergrund liegt, ist Michel Ney, einer der tapfersten und loyalsten Generäle Napoleons Bonapartes. Er wurde von der neuen Regierung jedoch kurz nach der Schlacht von Waterloo wegen Verrats verurteilt und kurzerhand in einer heruntergekommenen Ecke von Paris erschossen.

Gérôme achtete sorgfältig auf Michel Neys Körper, seine Hände und seinen Anzug, während die feinen Details in der schmutzigen Wand und im schlammigen Vordergrund lediglich das Ausmaß des in Ungnade gefallenen Generals betonen. In der Ferne wird die Pinselführung jedoch weniger behutsam, indem es den Lauf des Tötungskommandos darstellt und den Sinn für Nüchternheit verstärkt. In seiner Herausforderung der Konventionen konzentriert sich Gérôme wieder einmal auf die unmittelbaren Folgen eines historischen Ereignisses.

Pollice Verso, 1872

Pollice Verso

Beschreibung des Kunstwerks: Wenn ein römischer Gladiator - hier ein Murmillo mit Schwert und Schild - einen anderen überwältigt und in der Position für einen tödlichen Hieb steht, schaut der Sieger zur Menge, die über Leben und Tod des Geschlagenen entscheidet:

  • Wenn die Zuschauer die Daumen nach oben strecken, wird das Leben der Unterlegenen verschont.
  • Wenn die Daumen nach unten weisen, soll der siegreiche Gladiator fortfahren und ihn töten.

Pollice Verso ist eines der spektakulärsten Gemälde von Gérôme, das durch seine leuchtenden Farben und feinen Details fast schon unwirklich wirkt. Obwohl es von einer Vielzahl von Mimiken der Menge getragen wird, geht es in diesem Gemälde um die Körpersprache und die Gestik - sowohl vom Publikum, als auch von den Kämpfern. Hier dreht sich die Handlung um die Handgeste der Zuschauer ihre Folgen für den Gladiator am Boden.

Der Schlangenbeschwörer, um 1879

Jean-Léon Gérôme Der Schlangenbeschwörer

Beschreibung des Kunstwerks: Im typischen, sehr detaillierten und dekorativen Stil von Jean-Léon Gérôme dargestellt, sehen wir einen kleinen Jungen, der eine Python trägt, während ein alter Mann zu seiner Rechten eine Flöte spielt. Der Junge ist nackt, abgesehen von dem Reptil, das doppelt um seinen Körper geschlungen ist, dessen Kopf von dem Jungen hochgehalten wird.

Im Hintergrund schaut eine Gruppe von zehn Männern in islamischer Volkstracht zu und hält Stangen und Waffen. Sie sitzen auf dem Boden vor dem Hintergrund einer wunderschönen orientalischen Kachelwand, die in Azurblau, Cyan, Türkis und Aquamarin erstrahlt. Der Betrachter ist vielleicht eingeladen, die Männer zu beurteilen, aber für das westliche Publikum, für das der Orient und sein Volk ein Rätsel war, war die Hauptfunktion des Werkes, zu kitzeln.

Das Gemälde wurde von einer Reise nach Konstantinopel inspiriert, und entlang der Spitze der Wand sehen wir einen arabischen Schriftzug. Wie viele der Gemälde des Künstlers war es ein zusammengesetztes Werk, das in seinem Studio aus Studien zusammengestellt wurde, die er im Ausland durchgeführt hatte. So sind Fehler und Inkonsistenzen aufgetreten. Gérômes realistischer Stil bietet ein faszinierendes Bild, aber das Werk wurde von der zeitgenössischen Presse weitgehend zurückgewiesen.

Die Wahrheit kommt aus dem Brunnen, 1896

Jean Leon Gerome Die Wahrheit kommt aus dem Brunnen

Beschreibung des Kunstwerks: Dieses Spätwerk, eines von drei, das dasselbe Thema darstellt, zeigt eine blasse, nackte Frau, die aus dem Brunnen hervortritt. Sie ist in Bewegung, taumelt auf den Zuschauer zu, ihr Mund ist offen, entweder als Ausdruck von Wut oder als Ausruf. In ihrer rechten Hand hält sie einen Stab, möglicherweise zum Angriff. Ihre offensichtliche Wut steht im Widerspruch zu ihrer nackten Verletzlichkeit.

Die Blässe ihrer Haut wird durch den dunklen, kalt wirkenden Stein und die Tiefen des Laubes hinter ihr hervorgehoben. Oben wird ein blaues und rotes Licht auf das Mauerwerk geworfen, das die Szene bei Sonnenuntergang einordnet.

Corinth, 1903 - 1904

Beschreibung des Kunstwerks: Die Skulptur war Gérômes Hommage an die Stadt Korinth, Geburtsort der Malerei, der skulpturalen Porträtkunst, der korinthischen Architektursäule und auch ein Ursprungsort der frühen Prostitution, die unter anderem im Tempel der Aphrodite stattfand. Der griechische Geschichtsschreiber Strabon schildert, dass der Tempel rund 1.000 Frauen beschäftigte, was zum Reichtum der Stadt beisteuerte, da viele Handelsmänner bei einem Besuch hier ihr Geld ließen.

Die Skulptur zeigt eine nackte Frau mit gekreuzten Beinen, die nur mit Juwelen geschmückt ist. Ihr Blick ist durchdringend und ihr Auftreten etwas mysteriös und provokant. Setzt man den Titel des Werks mit ihrer Gestalt und dem Glanz ihrer Schmuckaccessoires in Verbindung, kann die Frauenskulptur als Kurtisane der Aphrodite interpretiert werden.

Nach 1890 wandte sich Jean-Léon Gérôme der Skulptur zu: Die Technik der Bemalung von Skulptur oder Architektur, die in der Antike üblich war, aber in der akademischen Bildhauerei seiner Zeit keine Rolle spielte, hatte es ihm besonders angetan. Indem Gérôme mit Wachsfarbe auf Marmor malt, versucht er, diese alte Disziplin wiederzubeleben. Hier vereinen sich die Einfarbigkeit des Marmors und der Bronze mit der hautfarbenen Wachsbemalung und kommen im Realismus der Skulptur voll zum Ausdruck. 

Seiner Liebe zum Detail entsprechend, basierte der Schmuck der Figur auf beobachteten griechischen und etruskischen Beispielen, während die Frisur und die Gesichtszüge der Frau weitgehend dem Stil der Pariser Frau des Fin de Siècle entsprachen. Die Verbindung einer klassischen Darstellung mit dem zeitgenössischen Look der Pariser Stadtfrau war ein gewagtes Werk und in dieser Hinsicht ein dem Schaffen des Künstlers durchaus angemessener Abschluss seiner künstlerischen Karriere.

Gérômes künstlerische Vermächtnis 

Gérômes Karriere verlief parallel zu einem anderen französischen Künstler, William-Adolphe Bouguereau. Die wunderschön ausgeführten klassizistischen Akte, Religions- und Genrebilder des letzteren waren auch in der Öffentlichkeit sehr beliebt, aber wie Gérôme spaltete sich Bouguereau auch wegen seiner Verachtung für den Impressionismus. Und wie Bouguereau geriet Gérôme nach seinem Tod in einen kritischen Missruf.

Trotz der Tatsache, dass sein Werk in Sammlungen des Louvre Museum und des Musée d'Orsay in Paris, des Metropolitan Museum of Modern Art in New York und der National Gallery in London zu finden ist, wurde die Relevanz von Gérôme vor allem in den letzten Jahrzehnten in Frage gestellt; seine harsche Abneigung gegen die moderne Kunst half dabei nicht weiter.

Ungeachtet dieser Kritiken zeigt sich Gérômes Einfluss im Werk des amerikanischen Künstlers Thomas Eakins, von dem er die Wissenschaft der Beobachtung und Gérômes gesteigerten Realitätssinn gelernt hat. Ein anderer amerikanischer Künstler, Jon Swihart, erklärte, er sei "wirklich besessen" von Gérômes Kunst.

Zu Gérômes Schülern gehörten der produktive Schweizer Realist Eugene Burnand, der amerikanische Impressionist Dennis Miller Bunker, der französische akademische Maler Delphin Enjolras und der bekannte russische Kriegskünstler Vasily Vasilyevich Vereshchagin. Er wurde auch für seine epischen Gemälde der kämpfenden Gladiatoren bewundert, die vom Produzenten Walter Parkes und dem Regisseur Ridley Scott als Bezugspunkte für ihren mit dem Oscar ausgezeichneten Film Gladiator herangezogen wurden.

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.

2 Kommentare

  • Zum Werk «Die Wahrheit kommt aus dem Brunnen» von Jean-Leon. Gérôme:

    Kleiner Fehler in der Bildbeschreibung: Keinesfalls hält die Nackte aus dem Brunnen lediglich einen Stab in der Hand. Es handelt sich nämlich um eine sogenannte «Neunschwänzige Katze» einer Sonderform der Peitsche, deren diverse Enden verknotet wurden. Sie wurde zur Folterung oder Selbstgeißelung verwendet. Die korreliert wohl eher mit dem Titel des Gemäldes, denn die «Katze» kõnnte durchaus bei entsprechendem Einsatz zur Wahrheitsfindung beigetragen haben..

    Mit freundlichen Grüßen

    Norbert Kiessling

  • Ein hochinteressanter Artikel.

    Bitte nennen Sie mir bitte Literatur, in der Gerome gegen den Impressionismus polemisiert.

    Mit freundlichen Grüßen

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