Zeichnung

Wie Michelangelos Zeichnungen Einblicke in seinen Schaffensprozess gewähren

Michelangelos Zeichnungen Titelbild

Für Michelangelo war das Zeichnen eine elementare, zeitlebens praktizierte Tätigkeit. Als Schüler lernte er auf diese Weise von den Werken anderer Künstler. Als Meister war das Zeichnen ein Werkzeug, mit dem er gleichzeitig die Realität einfangen und seine Fantasie ausdrücken konnte. 

Michelangelo widmete sich konsequent der menschlichen Figur, die er naturgetreu abbildete. Durch die sorgfältige Analyse von sezierten Leichnamen war er in der Lage, die menschliche Anatomie besser zu verstehen. Vor allem das Verständnis der formgebenden Muskeln waren für die Kunst Michelangelos entscheidend, um den Anschein eines realen Körpers in seinen Kunstwerken kreieren zu können.

Zu Beginn seiner künstlerischen Entwicklung zeichnete Michelangelo hauptsächlich mit Feder und Tinte, erkannte jedoch rasch die Vorteile von natürlicher Kreide. Er benutzte sowohl rote als auch schwarze Farben, wobei er letztere nach und nach bevorzugte. 

Heute wie damals werden Michelangelos Zeichnungen nicht nur als außerordentliche Kunstwerke geschätzt, sondern auch als Einblicke in die Gedankenwelt des künstlerischen Genies betrachtet. Sie lassen uns an der Entstehung einiger der größten Kunstwerke der Renaissance teilhaben.

Du erfährst, wie Michelangelo mit seinen Zeichnungen die menschliche Anatomie abbildete und wie sich seine Skizzen für bildhauerische Arbeiten von denen für malerische Arbeiten unterscheiden. Anschließend findest du vier konkrete Beispiele von Kunstwerken und Bauwerken, deren Entstehungsprozess sich anhand Michelangelos Zeichnungen ganz genau nachvollziehen lässt.

Michelangelos Zeichnungen der Anatomie

Michelangelos Zeichnungen, Studien von Arm und Hand, c. 1513Michelangelos Zeichnungen, Studien von Arm und Hand, c. 1513

Michelangelos Zeichnungen, Studien von Arm und Hand, c. 1513

Im Gegensatz zu den meisten Künstlern der Renaissance, die den menschlichen Körper von antiken Skulpturen und lebenden Modellen lernten, nahm Michelangelo an Sezierungen teil. Laut seinem Biographen Ascanio Condivi untersuchte der Künstler im Kloster Santo Spirito in Florenz im späten Jugendalter erstmals einen Leichnam.

Anders als Leonardo da Vinci konzentrierte sich Michelangelo in der Anatomie nicht auf die inneren Organe, sondern auf die Muskeln und Knochen.

Michelangelos Zeichnungen der Anatomie zeugen von seinem gründlichen Verständnis für menschliche Muskeln, vor allem für die der Gliedmaßen und des Rückens. Anhand der Sezierungen konnte Michelangelo nachvollziehen, wie sich die Oberfläche und die Konturen des Körpers in der Bewegung verändern.

Michelangelo, Studie einer Schulterpartie in Hinteransicht für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Studie einer Schulterpartie in Hinteransicht für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Michelangelo, Studie eines linken Beins und Knies für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Michelangelo, Studie eines linken Beins und Knies für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Michelangelo, Studie eines Beins für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Studie eines Beins für die Medici-Kapelle, ca. 1524-25

Michelangelo, Studie eines Arms in vier Perspektiven, ca. 1524-25

Studie eines Arms in vier Perspektiven, ca. 1524-25


Unterschiede zwischen Michelangelos Zeichnungen für Gemälde und seinen Skizzen für Skulpturen

Michelangelo, Zeichnung, die möglicherweise der Planung der Davidskulptur diente, 1501-02

Michelangelo, Skizze zur Erstellung der Davidskulptur, 1501-02

In seiner künstlerischen Tätigkeit benutzte Michelangelo Zeichnungen, um sowohl zwei- als auch dreidimensionale Kunstwerke zu planen.

Seine Zeichnungen unterschieden sich jedoch, je nach dem, ob er die Entwürfe für ein Gemälde oder für eine Skulptur (bzw. ein architektonisches Bauwerk) erstellte.

Bei Gemälden verließ sich Michelangelo im Entwurfsprozess ausschließlich auf Zeichnungen. Er arbeitete die Komposition durch eine Reihe von Skizzen und Studien aus, bis er zu einem detaillierten Entwurf gelangte. Diesen übertrug er mit Hilfe einer maßstabgetreuen Zeichnung, die auf den Untergrund gestochen wurde. 

Bei plastischen Arbeiten erlaubte ihm die Zeichnung, immer nur eine Ansicht zu erkunden. Deshalb zeichnete Michelangelo oft dieselbe Form aus verschiedenen Blickwinkeln und brachte Modelle aus Ton, Wachs oder Holz in seinen Prozess mit ein, die es ihm ermöglichten, seine Ideen im Raum zu testen.

Hier sind zwei Beispiele dieses Prozesses für eine Skulptur in der Medici-Kapelle, sowie ein Beispiel für einen männlichen Akt im Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle. 

Michelangelos Zeichnungen Medici-Kapelle

Studie für Skulptur in der Medici-Kapelle, 1532-33

Michelangelos Zeichnungen, Studie für Skulptur in der Medici-Kapelle 2

Studie für Skulptur in der Medici-Kapelle, 1532-33

Michelangelo, Skizze eines männlichen Akts, 1508

Entwurf für das Fresko der Sixtinischen Kapelle, 1508

Michelangelo, Männlicher Akt, 1509

Männlicher Akt, 1509


Michelangelos Zeichnungen: Die Schlacht von Cascina

Aristotile da Sangallo, Kopie der Schlacht von Casina, 1542

Aristotile da Sangallo, Kopie der Schlacht von Casina, 1542

Im Sommer 1504 erhielt Michelangelo den Auftrag, die Schlacht von Cascina an einer Wand im Saal der Fünfhundert des Palazzo della Signoria in Florenz zu malen. Der Auftrag versetzte Michelangelo in unmittelbare Konkurrenz zu Leonardo da Vinci, der ein Jahr zuvor den Auftrag erhalten hatte, die Schlacht von Anghiari an der gegenüberliegenden Wand zu malen. 

Beide Wandgemälde sollten an berühmte Schlachten der florentinischen Geschichte erinnern. Die Künstler fertigten zwar maßstabsgetreue Zeichnungen von Teilen ihrer Kompositionen an, aber die Werke selbst wurden nie fertiggestellt. 

Die großen Zeichnungen, die ständig bewundert und genau kopiert wurden, zerfielen irgendwann durch den Übereifer der kopierenden Künstler, sodass die Originale von Michelangelo und da Vinci heute nicht mehr erhalten sind. 

Die oben gezeigte Kopie von Aristotile da Sangallo mit ihren lebensgroßen Figuren gilt als das beste Replikat der originalen Gesamtkomposition von Michelangelo. 

Für seine Szene konzentrierte Michelangelo die Handlung auf den Moment vor der Schlacht, als die florentinischen Soldaten von den feindlichen Truppen überrascht wurden, während sie im Fluss Arno badeten.

Die Komposition festigte Michelangelos Stellung als führender Zeichner des heroischen männlichen Aktes mit der Betonung auf die sich bewegenden Körper und deren Muskulatur.

Vorbereitende Skizzen für die Schlacht von Cascina sind noch im Original erhalten. Einige beeindruckende Exemplare aus dieser Reihe:

Schlacht von Cascina, Vorbereitende Skizze 2
Schlacht von Cascina, Vorbereitende Skizze 4
Michelangelos Zeichnungen Skizze Anatomie

Eine vorbereitende Skizze für die Schlacht von Cascina

Schlacht von Cascina, Vorbereitende Skizze 3

Die Decke der Sixtinischen Kapelle

Michelangelos Zeichnungen Adam

Studie für Adam, 1510

Die Sixtinische Kapelle wurde zwischen 1473 und 1481 für Papst Sixtus IV. als dessen Privatkapelle erbaut. Sie diente als Ort für wichtige päpstliche Zeremonien und als Versammlungsort für das Kardinalskollegium. 

Die überwältigende Komplexität, Schönheit und Leistung von Michelangelos Fresken an der Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom verblüffen die Besucher auch noch mehr als fünfhundert Jahre nach ihrer Entstehung. Für das Projekt benötigte Michelangelo nur vier Jahre, wobei er den Großteil der Arbeiten selbst ausführte und nur die geringsten vorbereitenden Maßnahmen an seine Assistenten übertrug. 

Die hier gezeigten Zeichnungen für die Sixtinische Decke gehören zu den wenigen, die erhalten geblieben sind. Giorgio Vasari schrieb, dass Michelangelo die meisten Zeichnungen für die Arbeiten an der Sixtinischen Kapelle verbrannte, damit niemand seine kreativen Herausforderungen sehen konnte.

Zwei Beispiele von Entwürfen und ihren jeweiligen farbigen Ausarbeitungen:

Studie für die Bestrafung des Haman, 1512

Studie für die Bestrafung des Haman, ca. 1512

Bestrafung des Haman, Sixtinische Kapelle

Bestrafung des Haman, Sixtinische Kapelle, ca. 1512

Studie für Sibylle aus Libyen, ca. 1508

Michelangelos Zeichnungen, Sibylle aus Libyen

Sibylle aus Libyen, Sixtinische Kapelle, ca. 1511


Michelangelos Zeichnungen für Das Jüngste Gericht

Michelangelos Zeichnungen Das jüngste Gericht

Kompositionsskizze für Das jüngste Gericht, ca. 1534-36

1533 erhielt Michelangelo einen zweiten Auftrag für die Sixtinische Kapelle, diesmal von Papst Clemens VII. Michelangelo sollte ein riesiges Fresko des Jüngsten Gerichts über dem Altar anfertigen.

Obwohl Das Jüngste Gericht ein Standardmotiv in der christlichen Ikonografie war und den Moment im christlichen Glauben darstellte, in dem Gott über die Menschheit richtet, war Michelangelos Version unkonventionell. Ein Christus mit nacktem Oberkörper steht in der Mitte des Bildes, umgeben von größtenteils unbekleideten Heiligen, während die Erlösten in den Himmel aufsteigen und die Verdammten in die Hölle hinabsteigen.

Die allgegenwärtige Entblößung der Körper löste sofort eine Kontroverse innerhalb der katholischen Kirche aus, so dass 1563 angeordnet wurde, einen Teil der entblößten Körper mit vorsichtig gemalter Kleidung zu bedecken. Daniele da Volterra führte die Übermalung kurz nach Michelangelos Tod aus.

Nachfolgend zwei von Michelangelos Zeichnungen, die Figuren zeigen, die später ins Fresko in derselben Pose übertragen wurden:

Studie für Hl. Laurentius in Das jüngste Gericht, ca. 1534-36

Michelangelo Fliegender Engel

Studie für fliegenden Engel in Das jüngste Gericht, ca. 1534-36


Michelangelo und der neue Petersdom

Architektonische Zeichnungen für den Petersdom, Grundriss und Skulpturen, 1546-49

Architektonische Zeichnungen für den Petersdom, Grundriss und Skulpturen, 1546-49

Nach dem Tod des Architekten Antonio da Sangallo im Jahr 1546 beauftragte Papst Paul III. Michelangelo mit dem Bau des neuen Petersdoms, dem Sitz der römisch-katholischen Kirche. Der Papst betraute den Künstler mit diesem prestigeträchtigen Projekt, obwohl er nur wenig Erfahrung als Architekt hatte. 

Die größte Herausforderung, der sich Michelangelo als Baumeister gegenübersah, war der Entwurf einer großen Kuppel über der Vierung der Kirche. Er verwendete sowohl Zeichnungen als auch dreidimensionale Modelle, um seine Ideen zu entwickeln und sie anderen zu vermitteln. Aufgrund der Größe und Komplexität des Projekts erlebte Michelangelo die Fertigstellung der Kuppel nicht mehr. Als er 1564 starb, war nur der Tambour nahezu komplett.

Michelangelo, Architektonische Zeichnungen für den Petersdom, 1546-49

Michelangelo, Architektonische Zeichnungen für den Petersdom, 1546-49

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.