Gontscharowa Rayonismus Titelbild
Kunst

Rayonismus – Entstehung, Merkmale und bedeutende Kunstwerke

Die beiden Begründer Michail Larionow und Natalia Gontscharowa betrachteten den Rayonismus (auch Luchismus genannt) als Höhepunkt der russischen Avantgarde. Sie entwickelten neue Wege, Energie und Bewegung künstlerisch darzustellen. 

Der Rayonismus als schlüssiger Kunststil hielt etwa von 1912 bis 1914 an und stellte eine Version des russischen Futurismus dar.

Hier findest du eine Übersicht zur Entstehung dieses Kunststils, eine Einschätzung zum Einfluss des Rayonismus sowie mehrere Beispiele rayonistischer Gemälde, die die theoretischen Grundlagen ihres eigenen Manifests besser veranschaulichen.


Kernideen des Rayonismus

  • Beeinflusst von den engen Verbindungen zur internationalen Avantgarde und den einheimischen Traditionen der russischen Kunst spiegelt der Rayonismus die Widersprüche der russischen Kultur in der Zeit vor der Revolution wider. Er äußerte sich als kompromisslose Kombination aus kosmopolitischen und nationalistischen Einflüssen.
  • Der Stil und die Themen des Rayonismus spiegelten die zeitgenössischen wissenschaftlichen Entwicklungen wider. Die Verwendung von Transparenz und zerbrochenen Objekten wurde durch das sich wandelnde Verständnis der materiellen Welt durch die Entdeckung von Röntgenstrahlen und Radioaktivität beeinflusst. Die Welt konnte nicht länger nur als fest und konkret verstanden werden. Dies wiederum verstärkte die Theorien zur vierten Dimension des Universums.
  • Das Interesse der Rayonisten an Populärkultur und Materialität brach mit den Vorstellungen von bildender Kunst. Die Rayonisten glaubten, dass ihre Arbeit übergeordnete Fragen der Existenz und der Spiritualität aufgreift und sie strebten danach, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu überwinden. 

Ursprünge und zeitliche Entwicklung

Michail LarionoMichail Larionow, Glas, 1912, Selbstporträt, 1910

Michail Larionow, Selbstporträt, 1910

Der Rayonismus ist die Idee der beiden Lebensgefährten Michail Larionow und Natalia Gontscharowa, die eine Synthese aus Elementen der russischen Avantgardemalerei und einem bewusst modernen Stil schufen.

Als russische Futuristen, die mit der Künstlergruppe Karo-Bube verbunden waren, hatten sie mit dem Neoprimitivismus sowie mit dem russischen Kubo-Futurismus experimentiert. 

Larionow und Gontscharowa verließen Karo-Bube im Jahr 1912 wegen deren westlicher Ausrichtung und widmeten sich einer neuen Gruppierung, der sie den Titel Eselsschwanz verliehen.

Als Initiatioren und Meinungsmacher dieser Gruppe wollte Larionow die ausländischen Einflüsse stärker ablehnen. Er war der Meinung, dass französische Kunst keine Kunst mehr sei und sogar von einem Esel hätte gemalt werden können. Neben den Lebensgefährten waren auch Kasimir Malewitsch, Marc Chagall und Wladimir Tatlin Teil dieser künstlerischen Gruppierung.

Eine Gruppe von Künstlern (M. Larionow, S. Romanovich, V. Obolensky, N. Gontscharowa, M. Fabbri, A. Shevchenko) bei der Ausstellung Eselsschwanz, 1913

Die vierte Dimension

Esoterisch und spirituell rief Ouspensky Künstler dazu auf, den Weg in ein neues Bewusstsein zu weisen. Diese Charakterisierung war unter den Künstlern der Avantgarde jener Zeit nicht unüblich, darunter auch Kandinsky und Malewitsch, die sich ebenfalls berufen fühlten, die Menschen zu höheren Bewusstseinsebenen zu führen. Für die Rayonisten drückte sich dies in der Verwendung des Begriffs budushchniki aus, der grob mit " Menschen der Zukunft" übersetzt werden kann, um sich selbst zu beschreiben.

Zur Veranschaulichung ihres neuen Malstils und um sich selbst als Schöpfer der Bewegung zu positionieren, wurden Larionows Porträt von Gontscharowa und Gontscharowas Porträt von Larionow aus dem Jahr 1912 in ihr Manifest vom Juli 1913 aufgenommen.

Ausstellungen des Rayonismus

Der tatsächliche Ausgangspunkt des Rayonismus ist schwer zu datieren, vor allem, weil Larionow seine Arbeiten gelegentlich zurückdatierte, um sie vorausschauender erscheinen zu lassen. Die ersten bestätigten Veröffentlichungen des Rayonismus stammen aus dem Jahr 1912 und die erste rayonistische Ausstellung fand 1913 statt.

Die erste Ausstellung: Zielscheibe

Das offizielle Debüt der Rayonisten war die Ausstellung Zielscheibe im Jahr 1913, die von Gontscharowa und Larionow als bewusste Provokation nach der empörten Reaktion auf die Kunst der Eselschwanz-Gruppierung organisiert wurde.

Um die Ausstellung bekannt zu machen, veranstalteten sie im Polytechnischen Museum eine öffentliche Debatte über Avantgardekunst und Theater.

Der Abend zog ein großes Medieninteresse auf sich, vor allem wegen des nachfolgenden Chaos, das wohl von Larionow selbst angezettelt wurde, indem er eine Glühbirne sowie eine Wasserkanne ins Publikum warf. Jemand anderes warf einen Stuhl in die Menge. Diese Person konnte noch vor Verlassen der Räumlichkeiten von einem der Studenten gefasst werden, woraufhin eine regelrerechte Schlägerei ausbrach.

Es ist zu vermuten, dass ihre Absicht darin bestand, ein größtmögliches Aufsehen zu erregen und die eingefahrenen Traditionen der Kunst zu verletzen. Infolge dieses Abends zog die russische Presse Parallelen zwischen den Rayonismus und dem italienischen Futurismus, dessen Mitglieder ihr Publikum oft absichtlich mit ähnlichen Stunts verärgerten.

Das Rayonistische Manifest von 1913

Rayonismus Manifest

Ebenfalls 1913 veröffentlichte Larionow das Rayonistische Manifest.

In der Theorie basierte der Raynonismus auf einer unwissenschaftlichen Vorstellung von unsichtbaren Strahlen, von denen man annahm, dass sie von einigen Objekten ausgestrahlt und von anderen wiederum aufgefangen werden.

Wortherkunft: Im Russischen bedeutet das Wort Luch so viel wie Strahl. Aufgrund dieses zentralen Elements des Manifests wird der Rayonismus auch als Luchismus bezeichnet.

In der Wirklichkeit lassen sich drei wesentliche Einflüsse festmachen: Kubismus, Futurismus und Orphismus: Rayonistische Gemälde verbinden die Fragmentierung der Bildebene des Kubismus, die dynamische Bewegung des Futurismus und den Farbcharakter des Orphismus. 

Ende des Rayonismus

Larionow diente seit Kriegsausbruch in der russischen Armee, wurde aber 1915 ausgemustert, woraufhin er und Gontscharowa Russland verließen, in die Schweiz zogen und sich schließlich in Paris niederließen. Sie nahmen 1938 die französische Staatsbürgerschaft an und heirateten 1955.

Als Larionow und Gontscharowa Russland verließen, fand der Rayonismus ein rasches Ende. Die beiden widmeten sich der Gestaltung von Theaterkulissen und Kostümen für die Ballettstücke von Sergej Diaghilew.


Vermächtnis und Einfluss des Rayonismus

Die Rayonistische Idee, die gemalte Strahlen mit der Körperlosigkeit des Lichts gleichsetzte, eröffnete neue Möglichkeiten für die Vorstellung des Rayonismus, die gemalten Strahlen mit der Körperlosigkeit des Lichts gleichzusetzen, eröffnete neue Möglichkeiten für die Materialität in der Malerei und ermutigte die Künstler dazu, sich über die Form und Struktur ihrer Bilder bewusst zu werden. 

Viele der Konstruktivisten und Suprematisten wurden auch von Larionows Begriff der Faktura beeinflusst, der sich auf die Oberfläche oder Textur eines Bildes bezieht. Faktura wurde zu einem wichtigen Bestandteil der russischen Kunst nach der Revolution, vor allem in den einfarbigen Gemälden von Malewitsch und Rodtschenko und in den bildhauerischen Werken von Wladimir


Wichtige Kunstwerke des Rayonismus

Die folgenden Kunstwerke stellen wichtige Arbeiten von Larionow und Gontscharowa dar, die ihre stilistische Entwicklung repräsentieren. 

Michail Larionow, Steklo (dt. Glas), 1912 (mit 1909 signiert)

Michail Larionow, Glas, 1912

Michail Larionow, Steklo, 1912

Larionow betrachtete dieses Gemälde als sein erstes vollständig rayonistisches Werk.

ahrnehmbaren Realität lediglich Ausgangspunkte für die Lichtstrahlen. 

Es ist möglich, wenngleich ziemlich schwierig, die zwei Flaschen, fünf Becher und den Kelch auf dem Tisch in diesem Gemälde zu lokalisieren, da die Gegenstände in transparenten Schichten wiedergegeben und durch sich kreuzende Lichtstrahlen aufgebrochen wurden.

Der genaue Entstehungszeitpunkt des Werks ist unklar. Für eine Ausstellung in Paris im Jahr 1914 datierte der Künstler das Werk auf 1909, doch ist dieses Datum mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht korrekt. Kunstwerke früher zu datieren als sie in Wirklichkeit entstanden, war sein Versuch, den Vorrang vor anderen abstrakten Stilen zu beanspruchen.

Natalija Gontscharowa, Grüner Wald, 1913 (mit 1911 signiert)

Natalija Gontscharowa, Grüner Wald, 1913

Natalija Gontscharowa, Grüner Wald, 1913

In diesem Gemälde wirken die Strahlen des Rayonismus in Blau, Grün, Schwarz und Weiß sowohl gegenständlich als auch abstrakt: Sie erinnern an das dichte Laub des namensgebenden Waldes und erwecken gleichzeitig ein energiegeladenes und überwältigendes Gefühl von Leben und Dynamik. 

In jedem Fall ist der Wald als dynamische und einheitliche Kraft auf der Leinwand zu spüren; selbst das Frauengesicht linksunten und die Libelle unten existieren nur als Andeutungen der Wahrnehmung, vielleicht nicht mehr als imaginäre Formen im dichten Laub.

Michail Larionow, Sonniger Tag, 1913-1914

Michail Larionow, Sonniger Tag, 1913-1914

Michail Larionow, Sonniger Tag, 1913-1914

Dieses ungegenständliche Gemälde ist ein Paradebeispiel für die sogenannte pneumo-rayonistische Abstraktion und verweist auf das kulturelle Vermächtnis des Rayonismus im Russland der Nachkriegszeit und der Revolution.

Larionow hat eine formale Komposition aus nichts Konkreterem als sich kreuzenden Lichtstrahlen, strukturierten Flächen und Textfragmenten geschaffen. Das Werk vermittelt sich dem Betrachter allein durch die hervorgerufenen Emotionen, die durch Farben und Linien erzeugt werden.


Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.