KunstMalerei

Das Traktat von Leon Battista Alberti, das die Kunstgeschichte für immer veränderte

Leon Battista Alberti Über die Malkunst Titelbild

Leon Battista Albertis De Pictura (Über die Malkunst, 1435) ist das erste Traktat, das in Europa über die Kunsttheorie verfasst wurde. Ursprünglich auf Latein formuliert, doch bereits ein Jahr später in italienischer Sprache als Della Pittura übersetzt, war dies die erste künstlerische Abhandlung, die die lineare Perspektive beschrieb und der erste bekannte Text in Europa, der den Zweck der Malerei diskutierte. 

Filippo Brunelleschi hatte zwar bereits in den 1420er Jahren mit der Linearperspektive experimentiert, doch war es Alberti, der diese Ideen schriftlich festhielt. Während seiner Zeit in Florenz entwickelte Alberti seine Gedanken über die Malerei im Austausch mit Künstlern wie Brunelleschi, Donatello und Lorenzo Ghiberti.

Masaccio, Der Zinsgroschen, Brancacci Kapelle

Masaccio, Der Zinsgroschen, Brancacci Kapelle

Alberti lernte Werke wie Masaccios Freskenzyklus über das Leben des Heiligen Petrus (darunter auch das obige Werk Der Zinsgroschen) aus erster Hand kennen, in denen die biblischen Figuren überzeugend dreidimensional dargestellt sind, auf einem schattenwerfenden Untergrund platziert sind und emotional interagieren, um einen Erzählungsstrang zu vermitteln. Die italienische Version von Über die Malkunst widmete er den Künstlern, von denen er seine Ideen gelernt hatte.

Albertis Grundideen für ein erfolgreiches Gemälde waren in Über die Malkunst die folgenden:

  • Ein überzeugend dreidimensional wirkender Raum
  • Licht und Schatten, um Körper plastisch wirken zu lassen
  • Figuren in verschiedenen Posen, um eine fesselnde Erzählung zu schaffen 

Die einzelnen Abschnitte seiner Thesen über die Malerei wollen wir uns nachfolgend anhand einiger Beispiele genauer ansehen.

Über die Malkunst: Einen dreidimensionalen Raum schaffen

Perugino, Schlüsselübergabe, ca. 1481-1482

Perugino, Schlüsselübergabe, ca. 1481-1482

Alberti war der Meinung, dass gute und lobenswerte Gemälde einen überzeugenden dreidimensionalen Raum haben müssen, so wie wir ihn beispielsweise in Peruginos Schlüsselübergabe sehen.

Im ersten Abschnitt von Über die Malkunst erklärt er, wie man einen logischen, rationalen Raum auf der Grundlage mathematischer Prinzipien konstruiert.

Hier schreibt er über die Linearperspektive und wie man einen geometrisch berechneten Fluchtpunkt konstruiert, um den sich die Komposition eines Gemäldes gruppiert. 

Alle Formen auf dem Gemälde von Perugino scheinen sich vom Betrachter zu entfernen und in einem einzigen Punkt in der Mitte der Horizontlinie zusammenzulaufen. Mit einem einzigen Fluchtpunkt wies Alberti den Betrachter an, ein Gemälde wie dieses so zu betrachten, als würde man es durch einen Fensterrahmen sehen. 

Höchstmöglicher Naturalismus: Figuren echt aussehen lassen

Für Alberti bestand das ultimative künstlerische Ziel der Malerei darin, der Natur in der Darstellung der Wirklichkeit Konkurrenz zu bereiten.

Die Formen in einem Gemälde sollten mit Licht und Schatten so modelliert werden, dass sie plastisch wirken, als würden sie sich von der zweidimensionalen Oberfläche abheben wie die Formen in einem antiken Flachrelief.

Das Fresko von Domenico Ghirlandaio, das die Geburt der Jungfrau Maria darstellt, zeigt genau die Art von überzeugendem Naturalismus, die Alberti forderte.

Domenico Ghirlandaio, Geburt der Jungfrau Maria, c. 1485-90, Fresko in Florenz

Domenico Ghirlandaio, Geburt der Jungfrau Maria, c. 1485-90, Fresko in Florenz

Alberti wollte auch, dass die menschlichen Körper anatomisch korrekt aussehen und dass die Bewegungen und der Gesichtsausdruck der Figuren ihre Emotionen ausdrücken.

Im zweiten Teil seines Traktats legt Alberti diese Ideale dar und gibt den Malern Ratschläge, wie sie in ihrer Kunst am effektivsten eine Geschichte (die er "istoria" oder Erzählung nennt) erzählen können, indem sie verschiedene Arten von Figuren und Gesten verwenden.

Alberti wollte, dass die Betrachterinnen und Betrachter einen Bezug zu den in der Kunst dargestellten Geschichten herstellen und sich in die gemalten Charaktere hineinversetzen können. Doch er wollte auch, dass die Gemälde eine idealisierte Vision des menschlichen Verhaltens darstellen.

In der Szene von Ghirlandaio stehen, knien oder sitzen die Frauen. Zwei Frauen im Hintergrund neigen sich einander zu, um sich zu umarmen. Wir sehen ebenfalls, wie Ghirlandaio die Frauen malt, die in verschiedene Richtungen schauen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie miteinander interagieren, und den Betrachterinnen und Betrachtern eine fesselndere Geschichte zu bieten, als nur die Heilige Anna im Bett liegend zu zeigen.

Leon Battista Albertis Absichten hinter Über die Malkunst

Warum hat sich Alberti so viel Mühe gegeben, über die Malerei und ihren Zweck zu sprechen? Er wollte, dass die Malerei als losgelöste Kunstform angesehen wird, ähnlich wie die Musik, und nicht als rein handwerkliche Arbeit ohne kreative un spontane Einflüsse. 

Sein Ziel war es, den Status der Malerei und damit auch den der Malerinnen und Maler zu erhöhen.

Er stützte sich auf die Ideen römischer Autoren wie Plinius dem Älteren, Plutarch und Cicero, die sich mit den antiken Formen der Malerei und den Künstlern, die sie geschaffen haben, auseinandersetzen.

Er zitiert Plinius, wenn er darüber spricht, dass Künstler wie Praxiteles so geschickt in der Malerei waren, dass jedes Werk der griechischen Künstler mehr wert war als Gold und Silber. 

Diese Einbeziehung von klassischen Autoren zeugte von seiner humanistischen Bildung und trugen dazu bei, die formale Umwandlung der bildenden Kunst von einer handwerklichen Fertigkeit zu einem intellektuellen Unterfangen einzuleiten. 

So wurden Leon Battista Albertis Ideen aufgenommen

Das Abendmahl Analyse

Leonardo da Vinci, Das Abendmahl, 1495 - 1498

Obwohl Albertis Ideen zur Malerei heute so bekannt sind, war dies zu seinen Lebzeiten nicht der Fall. 

Zunächst wurde das Traktat nicht gedruckt, da die Druckerpresse in Europa erst um 1450 erfunden wurde. Das bedeutete, dass Albertis Ideen erst später eine breite Anerkennung erfuhren. 

Außerdem waren die meisten Künstler der Renaissance nicht in der Lage, die lateinische Version von Albertis Über die Malkunst aus dem Jahr 1435 zu lesen. 

 

Hinweis: Latein war die Sprache der gebildeten Elite, die Sprache derjenigen, die die Kunst förderten, nicht derjenigen, die sie schufen. 

Es ist wahrscheinlich, dass er seine Ideen ursprünglich einem privilegierten Publikum mitteilen wollte, um uns daran zu erinnern, dass Künstler zum Vergnügen ihrer vermögenden Arbeitgeber arbeiteten.

Als er den Text übersetzte, machte er ihn den Menschen zugänglich, die seine Ideen tatsächlich direkt nutzen könnten. 

Später beeinflussten Albertis Ideen über die Malerei viele Generationen von Künstlern, darunter die bedeutendsten Künstler der Hochrenaissance wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael. 

Selbst diejenigen, die mit Albertis Ideen nicht einverstanden waren schrieben ihre eigenen Ideen über Perspektive und Malerei als Reaktion auf Alberts Gedanken nieder. 

Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.