Eine ausführliche Bildbeschreibung & Interpretation von Sandro Botticellis Venus und Mars
Diese umfangreiche Bildbeschreibung, Analyse und Interpretation von Sandro Botticellis Venus und Mars behandelt die Darstellung in all ihren Facetten.
Wir fangen mit den formalen Eigenschaften der Arbeit an, fahren mit einer simplen Bildbeschreibung fort, vergleichen drei unterschiedliche Interpretationsansätze, ordnen das Bild anschließend in den Kontext seiner Entstehungszeit ein und stellen zuletzt eine Vermutung zu den Auftraggebern des Gemäldes an.
Formale Informationen zum Gemälde
- Maler: Sandro Botticelli
- Maße: 69 cm x 1,73 m
- Datum: um 1485
- Medium: Tempera und Ölfarbe auf Pappel
- Epoche/Stil: Renaissance
- Standort: National Gallery London
Bildbeschreibung: Venus und Mars von Sandro Botticelli
Eine Frau und ein Mann liegen auf einer grasbewachsenen Lichtung, umgeben von Bäumen und Sträuchern.
Sie sitzt aufrecht, stützt ihr Gewicht auf ihrem Ellbogen, der auf einem roten Kissen ruht. Ein loses Gewandt mit goldenen Verzierungen umhüllt ihren Körper.
Er ist entkleidet und trägt nur ein Tuch im Lendenbereich. Sein Kopf ist nach hinten gefallen, wohl auf seiner Schulter ruhend im Schlaf versunken.
Dahinter spielt eine Gruppe von Satyren - halb Mensch, halb Ziege - mit den Waffen des Mannes.
Der Titel lässt keine Zweifel zu: Sie ist Venus, die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Er ist Mars, der Gott des Krieges.
Interpretation von Venus und Mars
Bildinterpretationen können auf verschiedenen Ebenen erfolgen. So ist di
A: Interpretation der Venusdarstellung
Sowohl Homer als auch Ovid erzählen von der Liebesbeziehung zwischen den beiden Göttern.
Botticellis Gemälde konzentriert sich auf den Moment der Intimität zwischen den Figuren nach dem Koitus des Mannes.
Viele Kunsthistoriker wollen sich darin einig sein, dass das Gemälde auf ein berühmtes klassisches Werk des Malers Aetion zurückgeht.
Dieses Gemälde, das heute verschollen ist, wurde vom griechischen Schriftsteller Lukian von Samosata beschrieben: Es zeigte die Hochzeitszeremonie von Alexander dem Großen und Roxane und passte die Ikonografie von Venus und Mars dem historischen Alexander und seiner Braut an.
Lukians Beschreibung erwähnt Amoretti oder Putten, die während der Zeremonie mit Alexanders Rüstung spielen, wobei zwei seine Lanze tragen und einer in seinen Brustpanzer gekrochen ist. Botticellis Gemälde folgt fast genau diesem Schema.
Das Gemälde zeigt also eine Darstellung der Lust, wobei das männliche Geschlecht nach dem Akt eingeschlafen ist. Dieses Phänomen scheint so alt wie die Menschheit selbst und war im Italien der Renaissance nicht weniger beliebt als heute.
Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Botticelli bildlich gesprochen der Venus das letzte Wort erteilt hat, deren Ausdruck eine gewisse Entrüstung hervorruft, während sie den schlafenden Mars betrachtet.
Er ist tief in seinen Träumen, sodass sie Zeit hat, über ihn nachzudenken. Ihre Gedanken schwanken vielleicht zwischen Zufriedenheit und Frustration oder Neugier und Desinteresse.
Es ist bezeichnend, dass die Finger ihrer linken Hand immer noch suggestiv mit ihrem Kleid spielen, das sich in durchsichtigen Schichten faltet und von einem kunstvollen goldenen Saum eingefasst wird.
Er ist erschöpft; sie ist noch hellwach.
B: Interpretation als Allegorie
Als Allegorie interpretiert, kann Sandro Botticellis Venus und Mars so gedeutet werden, dass die Liebe den Krieg überwindet.
Sein brutales und aggressives Wesen wird durch die Schönheit der Liebe gebändigt.
Um seine Entwaffnung stärker zu verbildlichen, werden die beiseite gelegten Waffen von den schelmischen Satyren fortgetragen.
C: Interpretation als warnende Botschaft
Eine etwas gewagte Interpretation ist die, dass es den kleinen Tod (vgl. frz. La petite mort) von Mars darstellt, den bewusstseinsbeschränkten Zustand nach dem Orgasmus, der nicht nur durch die Tatsache angedeutet wird, dass er schläft, sondern auch dadurch, dass selbst die Wucht des Muschelhorns ihn nicht wecken kann.
Diese verschmitzte Darstellung kann als humorvolles Bildelement betrachtet werden.
Man könnte das Detail aber auch als ernsthaftere Botschaft interpretieren.
Dieses Bildelement könnte als Warnung für das männliche Publikum des Bildes verstanden werden. Mars wurde von Venus emotional und körperlich so sehr verführt, dass er seine Pflichten und sein eigenes Dasein als Kriegsgott vernachlässigt hat. Er döst ein, während seine Waffen und seine Rüstung von den ungezogenen Satyren als Spielzeug benutzt werden. Seine kämpferische Manneskraft ist verstummt. Er wirkt wie ein Junge, nachdem ihm seine Rüstung - das Kostüm seiner Wildheit - abgenommen wurde.
Dies könnte durch die Tatsache unterstützt werden, dass die Szene in einem Dickicht angesiedelt ist, während wir im Hintergrund eine Stadt ausmachen können, in der sich der Mars vielleicht befinden sollte, um seinen Dienst zu verrichten.
Auch der Baum, an den sich der Mars lehnt, ist merklich verkümmert mit abgehackten Stümpfen, was auf einen schlechten Gesundheitszustand oder mangelnde Sorgfalt bei der Pflege hindeutet.
Das Gemälde kann somit sowohl als Warnung für die männlichen Betrachter als auch als Ausdruck maskuliner Ängste angesichts der weiblichen Sexualität und Einflussnahme verstanden werden.
Gemäß dieser Interpretation wandelt sich auch der Blick auf die Rolle der Venus. Anstatt die Personifizierung der Liebe zu sein, kann sie so eingeschätzt werden, dass sie Mars, sei es böswillig oder nicht, seiner männlichen Macht und seines Verantwortungsgefühls beraubt habe.
Diese Interpretation des Gemäldes wird durch die Tatsache unterstützt, dass eine andere berühmte Persönlichkeit der florentinischen Renaissance - Niccolò Machiavelli - den Mangel an kriegerischen Fähigkeiten in Florenz beklagte (wenngleich rund 15 Jahre später).
Er sah es als einen gravierenden Schwachpunkt an, dass Florenz zur Selbstverteidigung stark von Söldnern abhängig war, und beklagte, dass die Florentiner keine fähigen Soldaten mehr waren. Dies machte er zum Teil dafür verantwortlich, dass sie zu sehr am anderen Geschlecht interessiert waren und zu leicht von Frauen aus militärischen Angelegenheiten herausgehalten wurden. So war es seine Militärreform, die eine florentinische Bürgermiliz anstelle des Söldnerheers etablierte.
Das Gemälde im Kontext der Entstehungszeit
Botticelli war eng mit den Humanisten in Florenz verbunden und wird oft als archetypischer Künstler der Renaissance angesehen, vor allem wegen des klassischen Sujets einiger berühmter Bilder, zu denen Venus und Mars gehört.
Interessanterweise unternimmt Botticelli jedoch über die Tatsache hinaus, dass das Sujet aus der heidnischen Antike stammt, keine weiteren Anstrengungen, um den klassischen Charakter der Szene hervorzuheben.
Vielmehr verrät dieses Bild, wie auch andere Kompositionen wie die Primavera und die Geburt der Venus, eine Affinität zu früheren Stilen, die man als spätgotisch bezeichnen könnte. Insbesondere die geschwungenen Konturen von Mars und Venus und der Mangel an Tiefe in der Komposition erinnern an die eher dekorativen Tendenzen des späten dreizehnten und frühen vierzehnten Jahrhunderts.
In anderer Hinsicht legt Botticelli Wert auf die Betonung des Zeitgenössischen - die Frisur und das Kleid der Venus spiegeln die damalige Mode wider. Die Rüstung und die Lanze stammen ebenfalls aus der Renaissance und haben keine antike Provenienz.
Ursprung und Auftraggeber des Gemäldes
Dieses Bild wurde wahrscheinlich zur Feier einer Hochzeit gemalt. Die Form könnte sogar auf einen Ursprung als Teil einer Hochzeitstruhe (cassone) hinweisen.
Das Motiv passte auch zu einer florentinischen Hochzeit dieser Zeit: Venus, die Göttin der Liebe, blickt etwas distanziert in die Richtung ihres Geliebten Mars.
In der Szene gibt es Hinweise, die helfen könnten, den Auftraggeber zu identifizieren.
Der schlafende Mars ist sich der Wespen, die um seinen Kopf schwirren, vollkommen unbewusst. Sie mögen mit ihrem Stachel die negativen Folgen der Begierde symbolisieren, doch könnten auch als ein Wortspiel auf den Namen einer sehr einflussreichen florentinischen Familie sein. Gemeint sind die Vespucci (das italienische Wort für Wespe ist vespa), die verschiedene Werke bei Botticelli in Auftrag gegeben hat, darunter vermutlich auch Primavera.
Es wird allgemein angenommen, dass Simonetta Vespucci das Modell für die Venus in der Primavera sowie für andere Werke von Botticelli war. Die sehr feinen Gesichtszüge der Venus ähneln sich in beiden Werken stark.