Kunst

Leonardo da Vincis Brief an Ludovico Sforza – Das erste Bewerbungsschreiben der Renaissance

Leonardo da Vinci Brief an Ludovico Sforza

Anfang der 1480er Jahre, viele Jahre bevor er seine heute weltbekannten Kunstwerke malte, suchte Leonardo da Vinci eine Anstellung am Hof von Ludovico Sforza, dem damaligen faktischen Regenten von Mailand. 

Da er wusste, dass Sforza Militäringenieure suchte, verfasste Leonardo eine Art Bewerbungsschreiben, in dem er sein scheinbar unbegrenztes technisches Talent hervorhob und seine Fähigkeiten in zehn Punkten auflistete.

Auffällig ist, dass an mehreren Stellen Passagen durchgestrichen sind, was die Vermutung nahelegt, dass es sich bei dem heute in der Mailänder Ambrosiana-Bibliothek aufbewahrten Dokument nur um einen Entwurf handelt.

Ob ein ausgearbeitetes Anschreiben tatsächlich dem Herzog übergeben wurde oder ob es bei einer Ideenskizze blieb, ist bis heute Gegenstand von Fachdiskussionen.

Darüber hinaus ist unklar, wann genau Leonardo da Vinci vom Herzog angestellt wurde, da es nur wenige Quellen über Details aus seinem Leben gibt. 

Obwohl Leonardo da Vincis Brief an Ludovico Sforza im Jahr 1482 verfasst wurde, führte er nicht unmittelbar zu Leonardos Berufung an den Herzogshof. Stattdessen zog Leonardo noch im selben Jahr nach Mailand und arbeitete zunächst als freier Maler an der Felsgrottenmadonna.

Erst ab 1487, etwa fünf Jahre nach der Abfassung des Briefes, ist Leonardos Tätigkeit am Hof Ludovicos urkundlich belegt.

Danach stand er mindestens zwölf Jahre in den Diensten des Herzogs, bis er 1499 von den Franzosen vertrieben wurde.

Leonardo da Vincis Brief an Ludovico Sforza - Übersetzung nach Dr. Hermann Grothe von 1874

Leonardo da Vinci als Ingenieur und Philosoph

Die folgende Originalübersetzung findet sich auf Seite 64 und Seite 65 in dem 1874 erschienen Band Leonardo da Vinci als Ingenieur und Philosoph, geschrieben von Dr. Hermann Grothe. 

Die Übersetzung wurde in alter deutscher Rechtschreibung verfasst und enthält vereinzelte Anmerkungen aus dem italienischen Originaltext, vermutlich an Stellen, an denen Unklarheiten auftreten könnten:


Monseigneur, überzeugt, daß die Vorspiegelungen von allen denen, welche sich Meister in der Kunst des Erfindens von Kriegsgeräth nennen, in Wirklichkeit nichts Nützliches oder Neues geleistet wird, was nicht schon gewöhnlich ist, beeile ich mich gegenwärtig, ohne jemanden schaden zu wollen, Eurer Herrlichkeit meine Geheimnisse zu entschleiern und sie, wenn es Ihnen gefällt, zur Ausführung zu bringen; denn ich wage zu hoffen, daß alle Dinge, welche ich in diesem kurzen Brief einreiche, das verlangte Resultat erreichen.

1. Ich weiß zu konstruiren sehr leichte Brücken, welche man leicht von einem zum andern Ort transportiren kann, und mit Hülfe welcher es oft möglich wird, den Feind zu verfolgen und ihn in die Flucht zu jagen. Dieselben sind sehr sicher und gegen Feuer geschützt, und widerstandsfähig im Wasser. Sie lassen sich leicht aufschlagen und abbrechen. Ich habe auch ein Mittel, die Brücken des Feindes zu zerstören und anzuzünden.

2. Ich habe ein Mittel gefunden, die Wasser bei einer Belagerung abzuleiten, Fallbrücken zu machen und eine Reihe Instrumente für solche Gelegenheit.

3. Wenn die Höhe der Mauern oder die Stärke der Position eines Platzes nicht erlaubt, in einer Belagerung mit den Kanonen zu nahen, habe ich ein Mittel erfunden, jeden Thurm oder andere Befestigung, sobald sie nicht auf Felsen gebaut ist, zu ruiniren.

4. Ich verstehe auch eine Art Kanonen (bombarde) zu fabriziren, sehr leicht und bequem zu transportiren, welche entflammte Stoffe schießt, um Schrecken unter die Feinde zu verbreiten mit Hülfe eines großen Rauches, ihnen Schaden zuzufügen und sie in Unordnung zu bringen.

5. Ferner eine Methode, ohne Lärm die unterirdischen Gänge zu graben, um in einen Graben oder ein Flußufer zu gelangen.

6. Kräftige Wagen, offen, defensiv und offensiv, mit Artillerie versehen, dringen in die Mitte der Feinde ein; keine Waffenmasse gibt es, sie zu brechen, und dicht dahinter kann Fußvolk folgen ohne Schaden und Hinderniß.

7. Ich kann auch Bombarden gießen, wenn es nöthig ist, Mörser und Feldgeschütze in schöner und nützlicher Form und für den gewöhnlichen Gebrauch.

8. Dort, wo die Bombarden nicht angewendet werden können, fertige ich andere Geschütze (briccolè manghani, Arabucchi ed altri instrumenti) von wunderbarem Effekt und starkem Gebrauch. Je nach Erforderniß werde ich die Offensivwaffe bis ins Unendliche variiren.

9. Wenn das Geschick einer Seeschlacht droht, so habe ich eine Reihe Waffen und Instrumente für Angriff und Vertheidigung in Bereitschaft; ebenso Schiffe, welche dem Feuer der größten Artillerie widerstehen (Panzerschiffe??) und Pulver und Feuerarten.

10. In Friedenszeiten wird es nützlich sein, zu allgemeinem Nutzen Architektur zu pflegen, Gebäude für Private und die Oeffentlichkeit, und die Wasser von Ort zu Ort zu führen.

Ich beschäftige mich auch mit Skulpturen in Marmor, in Bronze und in Erden; ebenso fertige ich Gemälde, alles was man will. Ich würde auch an der Reiterstatue in Bronze arbeiten können, welche zum unsterblichen Ruhme und ewiger Ehre, also auch zur glücklichen Erinnerung Eurer Herrlichkeit Vaters und des fürstlichen Hauses Sforza errichtet werden soll.

Wenn einige dieser Sachen, von denen ich geredet habe, unmöglich und unausführbar erscheinen sollten, so biete ich mich an, sie auszuführen in Eurem Park oder an einem Ort, wo Ew. Exzellenz will, — womit ich ergebenst mich so viel als möglich empfehle.


Lenny
Der AutorLenny
Als Gründer von Daskreativeuniversum teile ich mein Fachwissen im Bereich der Kunstgeschichte und meine Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst mit dir.

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