In der langen Tradition des weiblichen Aktes zeigt Jean-Auguste-Dominique Ingres' Die große Odaliske sowohl seine akademische Ausbildung als auch seine Vorliebe für neue Ansätze.
Hier findest du eine ausführliche Bildbeschreibung und Interpretation dieses klassizistischen Kunstwerks, das aufgrund von Ingres' Malweise als wegbereitende Arbeit auf dem Weg in die Moderne bewertet werden kann.
Die große Odaliske -beschreibung
- Titel: Die große Odaliske,1814
- Künstler: Jean-Auguste-Dominique Ingres, 1780 - 1867
- Medium: Öl auf Leinwand
- Größe: 88.9 cm × 162.56 cm
- Gattung: Orientalistische Darstellung
- Epoche: Klassizismus
- Standort: Louvre, Paris
Entstehungsgeschichte des Gemäldes
Der Künstler Jean-Auguste-Dominique Ingres erhielt 1814 von Napoleon Bonapartes Schwester Caroline den Auftrag für Die große Odaliske. Caroline hatte Marschall Joachim Murat geheiratet, der im Jahr 1808 König von Neapel wurde. Sie wollte, dass das Bild zu einem anderen Gemälde von Ingres passte, das eine nackt schlafende Frau darstellte.
Das Gemälde wurde 1819 im Pariser Salon präsentiert, wo es auf scharfe Kritik stieß. Vor allem die ungenaue Anatomie des Körpers der Odaliske bot den Kritikern reichlich Anlass für Kritik. Die Wirbelsäule der Frau wirkt auffällig lang und sticht in einem so naturalistisch gemalten Werk wie diesem hervor.
Wenn man sich Die große Odaliske von Ingres genau ansieht, scheinen obendrein ihre Hüften übermäßig breit und ihr rechter Arm zu lang zu sein.
Das Ergebnis ist paradox: Sie wirkt auffallend schön und seltsam zugleich.
In Wirklichkeit sind die Ungenauigkeiten, die Ingres malte, absichtlich entstanden, denn die Perfektion der traditionellen, akademischen Malerei erlaubte es dem Maler nicht, das von einem solch kurvigen Körper ausgehende Gefühl auf die Bildfläche zu übertragen.
Bildbeschreibung von Die große Odaliske

Die große Odaliske ist eine nackte Frau, die auf einem mit Stoffen ausgelegten Bett liegt.
Die ganze Szene wird von ihrem Körper eingenommen. Der Federfächer, der Turban, den sie auf dem Kopf trägt und einige andere Details liefern uns Informationen über ihre Herkunft aus einem orientalischen Land.
Mit diesem Gemälde entwickelte Ingres ein neues Genre, indem er den mythologischen Akt in den Orient übertrug und die exotische Kunstgattung vorantrieb, die in Frankreich sehr erfolgreich sein würde.
Einflüsse auf das Motiv
Ingres ließ sich bei der Ausgestaltung der Odaliske von einigen großen Gemälden der Kunstgeschichte inspirieren, wie von der 1538 von Tizian gemalten Venus von Urbino oder der Schlummernden Venus von Giorgione.
Viele Historiker gehen davon aus, dass die direkte Vorlage der sich zurücklehnenden Frauenfigur allerdings nicht von diesen beiden Werken stammt, sondern von Jacques-Louis Davids Porträt der Juliette Récamier.

Oben links: Venus von Urbino | Oben rechts: Schlummernde Venus | Unten: Porträt der Juliette Récamier
In der Grande Odalisque gibt es jedoch einen weiteren Hinweis auf ein Meisterwerk der Vergangenheit. Es ist der Turban, der dem in Raffaels Porträt einer jungen Frau ("La Fornarina") sehr ähnlich ist. Der mit Perlen verzierte Anhänger, der ihn noch stärker betont, scheint dem der Odaliske zu gleichen.

Links: Porträt einer jungen Frau | Rechts: Ausschnitt von Die große Odaliske
Die große Odaliske: Interpretation
Die Odaliske ist wunderschön, hat einen selbstbewussten Blick und eine Haltung, die Frauen in dieser Zeit der Veränderung einzusetzen lernten.
Die Perfektion in der detailreichen Wiedergabe von Stoffen, Edelsteinen und Gegenständen, die die Frau umgeben, entschärft die im Salon 1911 kritisierten Mängel in der Anatomie, die dieses Bild gerade so gefühlvoll machen.
Die Betonung eines nicht stilisierten Körpers kann als Abkehr von den Traditionen der akademischen Malweise verstanden werden. Die von Ingres gewählte Darstellungsform erweckt beim Betrachter Emotionen und einen Sinn für die Schönheit des Imperfekten.
Ingres' Fähigkeit, Elemente klassizistischer Linearität und romantischer Sinnlichkeit zu vereinen und sich einer einfachen Kategorisierung zu widersetzen, bot ein Modell für künftige künstlerische Vordenker.
Wo man das Gemälde heute sehen kann
Die große Odaliske von Ingres befindet sich seit 1899 in der Sammlung des Louvre-Museums. Es empfiehlt sich, die Eintrittskarte für den Louvre im Voraus zu buchen, um die Warteschlange zu vermeiden.